Mord in Der Noris
dieses Ordners. Zuoberst lag eine
Klarsichthülle mit der Fotokopie eines Testaments, ausgestellt Anfang Januar
dieses Jahres von einem ihr unbekannten Notariat mit Sitz am Hauptmarkt.
Es war ein kurzer Letzter Wille. Elvira Platzer hatte
das Nürnberger Tierheim in der Stadenstraße zum alleinigen Erben ihres gesamten
Nachlasses eingesetzt. Paula nahm die Kopie aus der Hülle, in der sich zu ihrer
Überraschung noch weitere Testamente fanden. Insgesamt waren es sechs, fünf
davon von der Erblasserin handschriftlich aufgesetzt und unterschrieben. Sechs
Testamente aus zwei Jahren, und jedes Mal hatte die Tote einen anderen
Haupterben eingesetzt. Apolonia Rupp war nicht dabei, dafür aber einmal Elvira
Platzers Nichte Tanja Weber und im ersten sogar ihr Exmann.
Paula klappte den Ordner zu und steckte ihn ebenfalls
in die Plastiktüte, schloss das Fenster, packte ihre Tasche und ging zur
Wohnungstür. Als sie nach dem Schlüsselbund kramte, fiel ihr Blick auf ein
glitzerndes Steinchen, das vor dem Filzvorhang lag. Sie bückte sich – eine
Stachelniete mit einem dunkelrot funkelnden Edelstein in der kreisförmigen
Vertiefung. Sie stülpte sich einen Plastikhandschuh über die rechte Hand, bevor
sie ihn aufhob und betrachtete: Das rot glitzernde Etwas erwies sich als geschliffener
billiger Glasstein, auf dem kurzen Stachel des Metallbolzens glaubte sie,
winzige Reste eines Klebers erkennen zu können. Auch dieses Fundstück wanderte
in ein durchsichtiges Plastiktütchen.
Dann versperrte sie die Wohnung und klingelte bei Frau
Vogel. Während sie wartete, sah sie auf ihre Armbanduhr. Erst Viertel nach
eins. Jetzt merkte sie, dass sie heute Nacht zu wenig Schlaf erwischt hatte.
Sie war müde, hungrig und hatte Mühe, sich auf das Gespräch mit der Nachbarin
gedanklich einzustimmen.
»Ja, Frau Steiner? Ich hätte mich schon bei Ihnen
gemeldet, wollte Sie aber nicht stören.«
»Warum, ist Ihnen noch etwas eingefallen, was Sie mir
erzählen möchten?«
»Nein, aber einen Kaffee oder Tee, wenn Sie keinen
Kaffee mögen, wollte ich Ihnen anbieten. Und eine Kleinigkeit zu essen. Sie
haben sicher Hunger.«
»Nein, überhaupt nicht«, log sie. »Aber das ist
trotzdem nett. Danke für das Angebot. Kann ich für einen kurzen Augenblick
hereinkommen?«
Frau Vogel ließ sie bereitwillig eintreten, schloss
dann die Tür und zeigte mit der rechten Hand in ihr heiteres Wohnzimmer mit dem
einladenden sonnenblumengelben Sofa.
Paula schüttelte verneinend den Kopf und blieb stehen.
»Nein danke, so lange will ich Sie nicht stören, zur
Samstagmittagszeit. Eigentlich habe ich auch nur eine Frage, Herrn Holzbauer
betreffend. Sein Verhältnis zu Frau Platzer war wohl nicht das beste?«
»Hm«, sagte Frau Vogel mit einem kleinen Seufzer, »und
das ist noch untertrieben. Die beiden waren sich spinnefeind.«
»Und was beziehungsweise wer war der Auslöser?«
»Na ja, Sie können es sich vielleicht denken. Der
Auslöser war natürlich Frau Platzers Krankheit oder wie man es nennen will.
Angefangen hatte es damit, dass sie immer wieder Sachen, die sie in der Wohnung
nicht mehr untergebracht hat, vor der Tür abgestellt hatte. Das hat Herrn
Holzbauer jedes Mal regelrecht zur Weißglut gebracht. So wie heute, Sie haben
es ja selbst erlebt. Mein Gott, haben die beiden sich angeschrien. Und das
alles hier im Haus, sodass es jeder hören konnte.«
»Und, hat Frau Platzer sich gewehrt?«
»Anfangs schon. Aber als er ihr mit dem Anwalt gedroht
hat, hat sie das Rausstellen aufgegeben. Dinge, die leicht Feuer fangen können,
dürfen nämlich aus feuerschutzpolizeilichen Gründen nicht im Hausgang
abgestellt werden, da hatte Herr Holzbauer schon das Recht auf seiner Seite.
Ja, aber dann ging es erst richtig los. Frau Platzer hat dann nämlich diese
Sachen in ihren Keller gebracht. Und als da kein Platz mehr war, vor«, betonte
Frau Vogel, »ihre Kellertür gestellt. Und eines Tages waren diese Sachen
einfach weg. Von heute auf morgen. Frau Platzer hat jeden hier im Haus gefragt,
aber keiner hat ihr sagen können, wer das war. Ab da hat sie mit Herrn
Holzbauer, den sie wohl in Verdacht hatte, nicht mehr gesprochen. Nicht einmal mehr
gegrüßt haben sich die beiden.«
Nach einer kurzen Pause und einem weiteren kleinen
Seufzer fuhr sie fort. »Das war keine gute Stimmung mehr im Haus. Darunter
haben auch die anderen Parteien zu leiden gehabt. Beide, Herr Holzbauer wie
auch Frau Platzer, versuchten immer wieder, einen auf ihre Seite zu ziehen.
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