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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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mit der Bitte, falls es zu einer Verwechslung der Koffer gekommen sei, ihm, selbstverständlich gegen Finderlohn, die Konstruktionszeichnungen zuzuschicken. Bei diesen Nachforschungen kam Treptow zustatten, daß er doch nicht den Nil in die Kattarasenke umleitete, sondern als Gutachter für eine Versicherung tätig war, und zwar in der Abteilung für Falschbebauung und Bauschäden in Übersee.
    Die Konstruktionszeichnung des Tropenautomobils tauchte nie wieder auf. Jahre später jedoch entdeckte Treptow in der ›Deutschen Kolonialzeitung‹, die er regelmäßig las, eine Fotografie, die sein Tropenautomobil zeigte. Ein ernstblickender Mann mit schwerem Schnauzbart dreht gerade an dem Handrad der Steuersäule. Daneben stand ein Bericht über dieses Modell, das ein gewisser Dr. Robert Goldschmidt aus Brüssel entwickelt hatte. Der Bericht war identisch mit dem, den Treptow vor sechs Jahren in Bethanien geschrieben hatte. Treptow stellte sogleich Nachforschungen an, aber er konnte nicht herausfinden, ob dieses Automobil nach seinen Konstruktionen gebaut worden war oder aber ob es eine der zahlreichen Doppelerfindungen jener Jahre war. Einige dieser Tropenautomobile wurden auch gebaut, und eines wurde auf Initiative des deutschen Oberleutnants Troost nach Deutsch-Südwestafrika verfrachtet. Zischend und dampfend zog es von Swakopmund zwei Wagen acht Kilometer ins Landesinnere, dann blieb es im Sand stecken, wo es noch heute, als Denkmal geschützt, steht, vom Volksmund Luther genannt: Hier stehe ich, ich kann nicht anders.
    An einem Juniabend, es hatte schon die ersten Nachtfröste gegeben, brach Treptow gemeinsam mit dem Geologen Hartmann von Bethanien auf. Auf dem Ochsenwagen standen, gezogen von dem wegkundigen Gabelhorn, neben den Blechkisten mit den Vermessungsinstrumenten mehrere steinschwere Kisten mit Proben, die Geologe Hartmann mit seinem Hammer aus der Umgebung von Bethanien abgeschlagen hatte. Er war davon überzeugt, daß es im Trias-Gebirge Vorkommen von Kupfer und Silber gebe.
    In Windhuk angekommen, suchte Treptow sogleich den Agenten der Landgesellschaft, Kleinschmidt, auf, der in einem der wenigen Steinhäuser des Ortes wohnte. Dieses Haus lag an einem sanft abfallenden Hang inmitten eines mit Bäumen und Büschen bestandenen Gartens. Ein kleiner Quell entsprang oberhalb des Hauses. Eine Wasserleitung führte von dort zum Haus. Es war das erste Haus in Südwest mit einem Wasserklosett, und viele der in Windhuk stationierten Offiziere besuchten Kleinschmidt, getrieben vom Heimweh, um endlich einmal wieder das vertraute Rauschen zu hören. Kleinschmidt pflegte an heißen Tagen in der mit kaltem Wasser gefüllten Badewanne zu sitzen und die Schachaufgaben aus der Schachecke der Appenrader Zeitung (Kleinschmidt kam aus Appenrade) zu lösen. Hin und wieder ließ er kaltes Wasser nachlaufen. Er schickte dann die Lösungen nach Appenrade, wo sie stets zwei bis drei Monate nach Einsendeschluß eintrafen. Dafür wurde Kleinschmidt ausdrücklich einmal zum Jahresende von der Redaktion erwähnt: Ein Sohn unserer Stadt, der im fernen Afrika die abendländische Kunst des Schachspiels pflegt. Kleinschmidt schnitt diese Hinweise aus und sammelte sie in einer Mappe. Außerdem beschäftigte er, der aus dem nördlichsten Teil des Deutschen Reiches kam, sich mit Zwiebeltürmen, die – landschaftlich gebunden – die erstaunlichsten Variationen aufwiesen. Besuchern zeigte er gern Stiche und neuerdings auch Fotografien. Tagsüber, bei großer Hitze, mußten alle Fenster und Türen verschlossen bleiben. Er empfing zu dieser Zeit grundsätzlich keinen Besuch. Ein Diener wies dann wortlos von innen auf das kochende Quecksilber des Thermometers vor dem Fenster. Erst am Abend, wenn die Außentemperatur unter die der Innentemperatur gesunken war (was Kleinschmidt stets persönlich überprüfte), ließ er alle Türen und Fenster öffnen.
    Treptow war zweimal mit dem Hinweis auf das Thermometer weggeschickt worden, als er endlich am späten Nachmittag die Tür offen fand. Er wurde von einem großgewachsenen schweren Mann begrüßt, dessen schwarzer Anzug Autorität ausstrahlte. Kleinschmidt fragte Treptow, ob er eine Tasse Tee haben wollte. Alkohol dulde er grundsätzlich nicht in seinem Haus, fügte er hinzu, um jedem dahingehenden Wunsch Treptows zuvorzukommen. Er selbst bestellte sich Kamillentee. Er habe leider einen äußerst empfindlichen Magen und müsse strenge Diät halten, denn sein Magen sei sein Kapital. Treptow

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