Morton Rhu - Leben und Werk
sind.«
Seth nickte wieder, drehte sich aber nicht nach Adam um.
Als er in der Straße angekommen war, in der er wohnte, sah er vor einem Haus eine Mülltonne, die noch nicht wieder in die Garage zurückgestellt worden war. Er blieb stehen und blickte an seiner Jeansweste herunter. Die Blutflecken hatten sich dunkel verfärbt. Wenn er die Weste jetzt mit nach Hause nahm und wusch, würde sie danach wahrscheinlich richtig cool aussehen. So als hätte er sie schon bei etlichen Prügeleien angehabt. Seth dachte einen Moment nach. Dann zog er sie aus und stopfte sie in die Mülltonne.
Boot Camp – Gnadenlose Gehirnwäsche
»Entschuldigen Sie. Meine Hände sind taub.«
»Ach ja?«, erwidert der Mann am Steuer des Autos. Er heißt Harry.
»Könnten Sie die Handschellen vielleicht etwas lockerer machen?«, frage ich.
»Tut mir leid, Muttersöhnchen.«
»Wenn’s Ihnen leidtut, warum helfen Sie mir dann nicht?«
»Nichts zu machen.« Harry trägt einen Cowboyhut und spricht ziemlich undeutlich. Ich sitze auf der Rückbank des dunklen Wagens und sehe nur die Umrisse seiner Schultern und den dicken Hals unter seinem breiten Hut. Meine Hände sind schon seit zwei Stunden hinter meinem Rücken gefesselt, ich spüre sie nicht mehr. Nur noch ein Kribbeln unterhalb der Handgelenke.
»Würden Sie mir bitte sagen, wo Sie mich hinbringen?«, frage ich. Harry antwortet nicht.
Schon die ersten Sätze aus Morton Rhues 2006 erschienenem Roman »Boot Camp« verdeutlichen den Lesern, dass sie sich in einer brutalen Welt befinden. In einer, in der Würde und Freiheit nicht mehr geschützt werden. Auch in »Boot Camp« wirft Morton Rhue wieder ein Schlaglicht auf die Schattenseiten und auf die moralischen Verwerfungen des modernen Amerika.
Auf seiner Webseite erklärt der Autor, wie ihm die Idee kam, über Erziehungslager zu schreiben: »Beim Zeitunglesen bin ich auf einen Artikel über Guantánamo Bay gestoßen, wo die USA mutmaßliche Terroristen ohne Anklage und Zeitlimit festhalten. In einem anderen Teil der Zeitung entdeckte ich dann einen Text über Erziehungslager, in denen jugendliche Straftäter ebenfalls ohne Schuldspruch festgehalten werden, ohne zu wissen, für wie lange. Sie werden in Boot Camps so wie Terroristen in Guantánamo Bay behandelt. Und ich dachte mir, darüber sollte man einen Roman schreiben.«
Boot Camps begannen sich in den USA ab Mitte der Achtziger Jahre als Alternative zu normalen Gefängnissen auszubreiten und sind heute ein fester Bestandteil des amerikanischen Strafvollzugs. Besonders junge Ersttäter sollen mit militärischem Drill und unter extremer physischer und psychischer Belastung wieder auf den rechten Weg gebracht werden. So brutal die Situation in einem solchen Umerziehungslager auch sein mag – vom ständigen Angebrülltwerden über nächtliche Gewaltmärsche bis hin zum billigsten Resteessen –, sind doch die meisten Straftäter »freiwillig« dort.
Sie werden vom Richter vor die Wahl gestellt, entweder für zwei, drei Jahre ins Gefängnis zu kommen oder das härtere, aber dafür im Höchstfall 120 Tage dauernde Programm in einem Boot Camp zu absolvieren.
So fragwürdig Camps sind, die sich das Leitmotiv »den Willen brechen, um ihn später wieder aufzubauen« auf die Fahne schreiben, so gelten sie doch bei manchen Pädagogen als effektive Alternative zum Wegsperren. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich diese Effektivität jedoch als Illusion. Nach einer Studie des US -Justizministeriums aus dem Jahr 2003 führen die Camps bei den Jugendlichen zwar zu »kurzfristigen Erfolgen in der Denkweise«. Langfristig bringen die Camps jedoch wenig: »Von wenigen Ausnahmen abgesehen bedeuten die Verhaltensänderungen keine geringere Rückfälligkeit.«
Dazu kommt, dass nach Recherchen der New York Times, die in einem Artikel vom 9. Juni 2009 veröffentlicht wurden, in den zurückliegenden zwanzig Jahren mindestens dreißig Jugendliche in Erziehungslagern gestorben sind. Die meisten von ihnen haben sich aus Verzweiflung selbst das Leben genommen, andere sind unter körperlicher Überanstrengung zusammengebrochen.
2006 erschütterte der Tod des vierzehnjährigen Martin Lee Anderson die USA . Er wurde in einem Boot Camp in Florida von seinen Aufsehern zu Tode geprügelt.
Diese Fakten und Zahlen über jene Boot Camps, die als Alternative zur Gefängnisstrafe angeboten werden, sind eigentlich schon erschreckend genug – doch Morton Rhue beschäftigt sich in seinem Roman mit einer zweiten,
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