Muensters Fall - Roman
waren?«
Engel nickte.
»Nur eben wie gute Nachbarn«, erklärte er. »Wir haben ja seit mehr als zwanzig Jahren hier im gleichen Haus gewohnt. Manchmal sind wir zusammen zum Fußball gegangen. Manchmal haben wir zusammen mal was getrunken.«
»Ah ja«, sagte Rooth. »Wie oft?«
»Na, Fußball wohl einmal im Jahr«, sagte Engel. »Man wird
ja älter. Da sind immer so viele Hooligans. Ein Gläschen ab und zu. Meistens bin ich dann da hinten bei Gambrinus, aber da nehme ich immer Faludi mit.«
»Wer ist Faludi?«
»Ein alter Arbeitskollege. Araber, aber ein verdammt netter. Wohnt ein Stück weiter hier im Viertel. Prost.«
»Prost«, sagte Rooth.
»Sind Sie denn nicht im Dienst?«
»Wenn ich trinke, nie«, sagte Rooth. »Haben Sie noch mal über den Samstagabend nachgedacht, wie ich Sie gebeten habe?«
»Äh ...? Ja ...«, sagte Engel und leckte sich die Lippen.
»Aber mir ist nichts eingefallen, was ich nicht schon gesagt hätte.«
»Sie haben also nichts gehört, und Ihnen ist nichts Merkwürdiges aufgefallen?«
»Nein, gar nichts. Ich bin so gut und gern gegen halb zwölf nach Hause gekommen und dann sofort ins Bett gekrochen. Habe unserem Liebespaar noch eine Weile zugehört und bin dann wohl so gegen Mitternacht eingeschlafen ... das ist gar keine so schlechte Gute-Nacht-Musik für so einen alten Wichser, wie mich, das kann ich dem Inspektor sagen. Hehe.«
Er verdrehte die Augen und zündete sich eine Zigarette an.
Rooth seufzte.
»Und sonst nichts?«
»Keinen Pups, wie gesagt.«
»Was glauben Sie, wer könnte es getan haben?«, fragte Rooth.
Das war eine alte Van-Veeteren-Regel. Frage immer die Leute, was sie glauben! Einerseits reißen sie sich zusammen, wenn ihnen erlaubt wird, ihre eigene Meinung zu sagen. Und andererseits besteht eine verflucht hohe Chance, dass, wenn drei von fünf das Gleiche glauben, sie auch Recht damit haben.
Manchmal gilt das sogar schon bei zwei von fünf.
Engel rauchte und überlegte. Rieb sich die Nase und trank noch ein bisschen Glühwein.
»Das war keiner hier aus dem Haus«, sagte er schließlich. »Und auch keiner von seinen Kumpels. Das muss irgendein dahergelaufener Irrer gewesen sein.«
Rooth kratzte sich im Nacken.
»Wissen Sie, ob er irgendwelche Feinde hatte oder Leute, die ihm nicht wohlgesinnt waren?«
»Absolut nicht«, sagte Engel. »Leverkuhn, der war in Ordnung.«
»Und seine Frau?«
»Eine gute Frau«, sagte Engel lakonisch. »’n bisschen nörgelig, aber so sind sie ja alle. Sind Sie verheiratet?«
»Nein«, antwortete Rooth und leerte sein Glas. »Dazu ist es nie gekommen.«
»Bei mir auch nicht«, sagte Engel. »Mir ist es nie gelungen, eine Frau länger als drei Stunden zu halten.«
Rooth spürte, dass er es hier mit einem Seelenverwandten zu tun hatte, hütete sich aber davor, die Gemeinsamkeiten zu vertiefen.
»All right«, sagte er stattdessen. »Erst mal vielen Dank. Wir lassen wahrscheinlich noch mal von uns hören.«
»Ich hoffe, Sie lösen den Fall«, sagte Engel. »Es laufen heutzutage einfach zu viele Mörder frei herum.«
»Wir werden sehen«, sagte Rooth.
Jedenfalls hat es niemanden besonders hart getroffen, dachte er, als er wieder im Treppenhaus stand. Und wenn es wirklich ein Irrer war, mit dem man es hier zu tun hatte – ein dahergelaufener Irrer – ja, dann müsste man doch eigentlich zumindest Zeichen einer gewissen Vorsicht und Angst vorfinden. Aber dem war ganz offensichtlich nicht so – jedenfalls, wenn man die Abschiedsworte von Herrn Engel nicht allzu wörtlich nahm. Aber vielleicht hatten sich die Leute ja auch einfach mit der Zeit schon genauso an Gewalttaten und Perversitäten gewöhnt wie er selbst. Wundern müsse man sich nicht, dachte Rooth finster.
Er war gerade aus der Haustür getreten, als er von einem
bärtigen Mann um die fünfunddreißig mit Block und Stift in der Hand angesprochen wurde.
»Bejman, vom Neuwe Blatt«, erklärte dieser. »Haben Sie ein paar Minuten Zeit?«
»Nein«, sagte Rooth.
»Nur für ein paar kurze Fragen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil Sie schon alles erfahren haben.«
»Aber irgendwas Neues müssen Sie inzwischen doch herausgekriegt haben?«
»Hm«, sagte Rooth und schaute sich um. »Nicht offiziell.«
Bejman beugte sich vor, um besser hören zu können.
»Wir suchen nach einem rothaarigen Zwerg.«
»Einem rothaarigen ...?«
»Ja, aber verdammt, schreiben Sie nichts darüber. Wir sind uns noch nicht hundertprozentig sicher.«
Er
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