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Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)

Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)

Titel: Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Milsch
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dran und steht mit einigen anderen Müttern auf dem Flur des Kindergartens; durch die Tür hört sie, wie die Kinder das Abschlusslied singen. Frau Enke, eine Erzieherin, kommt über den Gang. »Hallo, Frau Reinecke, heute können Sie aber richtig stolz auf Ihren Lukas sein. Heute Morgen hat er zum ersten Mal nicht geweint, nachdem Sie weggefahren waren. Er hat von Anfang an bei unserer Weihnachtsbastelei mitgemacht und war den ganzen Tag über mit Feuer und Flamme bei der Sache. Ich glaube, so langsam macht es ihm doch noch Spaß bei uns. Hat ja auch lange genug gedauert.«
    Lukas war morgens immer nur sehr ungern in den Kindergarten gegangen. Schon im Auto gab es Tränen. Sowie Monika ihn in der Gruppe abgegeben hatte, erreichte das Drama seinen Höhepunkt: Lukas wollte nicht spielen, nicht essen, interessierte sich nicht für die anderen Kinder und weinte oft. Am liebsten saß er abseits und wollte in Ruhe gelassen werden, und die Erzieherinnen hatten viel Mühe, ihn miteinzubeziehen. Darum hatte er auch noch keine richtigen Freunde im Kindergarten gefunden. Der schönste Moment des Tages war für ihn, wenn ihn seine Mutter wieder abholte.
    Auch jetzt kommt er begeistert auf seine Mutter zugelaufen. »Mami, guck mal, was wir heute gebastelt haben! Ich habe das zusammen mit Sven und Marie ganz allein gemacht!« Er zieht sie in ein Zimmer, dort steht eine etwas windschiefe Krippe, offensichtlich selbst gebastelt. »Und morgen machen wir noch den Ochsen und den Esel und den Stern von Bethlehem dazu!«
    Lukas ist wie verwandelt. Monika ist überrascht von seinem Eifer: »Und du hast heute Morgen gar nicht geweint, habe ich gehört, du warst ja richtig tapfer?« Sie bemüht sich um einen scherzhaften Ton: »Aber hast du mich denn überhaupt nicht vermisst, mein Schatz?«
    In diesem Moment versetzt es Lukas einen Stich. Er hat heute so begeistert gespielt, dass er seine Mutti ganz vergessen hat. Er bekommt ein schlechtes Gewissen. Denn eines hat er schon mit seinen viereinhalb Jahren begriffen: Die Liebe seiner Mutti ist das Wichtigste in seinem Leben, zu ihr gibt es keine Alternative.
    In diesen wenigen Sekunden lernt Lukas, dass es nicht angebracht ist, sich auf den Kindergarten zu freuen, weil seine Mutti Morgen für Morgen ein Opfer bringt, indem sie ihn dort abgibt. Letztlich wird er morgen im Kindergarten beim Abschied von seiner Mutter wieder weinen, aber nicht, weil er einen Tag ohne sie fürchtet, sondern weil er spürt, dass seine Mutti von ihm Tränen erwartet, weil er sich für ein paar Stunden von seinem Ein und Alles trennen muss. So beginnt das Fesselspiel, das auch bei den erwachsenen Kindern noch wirkt.
    Ob es um den Kindergarten oder das Herumstromern mit Schulkameraden geht: Viele Mütter verkraften es schwer, wenn ihr Kind auch ohne sie zurechtkommt. Die Beziehung Mutti-Kind ist scheinbar von grenzenloser, alternativloser Liebe geprägt. Doch – und das übersieht die Mutti geflissentlich – jede wirkliche Liebe braucht Grenzen. Sie muss auch mal einen Streit oder eine Trennung verkraften können; nur zwischen zwei eigenständigen Persönlichkeiten ist echte Liebe möglich. Mutti aber will, dass alle Gefühle ihres Kindes ausschließlich über sie laufen. So behindert sie die Entwicklung und den Ausdruck seiner eigenen Gefühle.
    Indem sie ihm immer wieder signalisiert, dass die eine oder andere spontane Reaktion unangemessen war, schafft sie es, das Kind völlig zu verunsichern. Schlussendlich überprüft es ständig seine Gefühle und Bedürfnisse daraufhin, ob seine Mutter sie wohl billigt: »Was will sie, was erwartet sie von mir, habe ich auch alles richtig gemacht?« Ein Kind wird so niemals lernen, seine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und unverfälschte Gefühle gegenüber anderen zu entwickeln. Es wird vielmehr wie gebannt auf Mutti starren und sich fragen: »Darf ich das jetzt?«
    Echte Liebe bereitet ein Kind auf ein freies, selbstbestimmtes Leben vor und freut sich über jeden neuen Schritt, den es auf eigenen Füßen in Richtung Selbstständigkeit tut. Mutti aber gießt ihre Liebe in Beton, indem sie in ihrem Kind Schuldgefühle weckt. »Jetzt bin ich aber traurig« und »Jetzt muss Mutti weinen«, heißt es dann. Doch das sind nur die offensichtlicheren Hebel, die in Bewegung gesetzt werden. Der Großteil der Manipulation läuft noch verborgener ab. Ein Blick, ein Seufzen, ein Stirnrunzeln, versteckte Botschaften: »Geht nur schon ohne mich los, ich komme gut allein

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