Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
kann.
Helicopter parents nennt man diese Art Eltern in Amerika; der Soziologe Frank Furedi von der University of Kent ist da weniger charmant: Er spricht von paranoid parenting . Und die Nachkommen? Sie werden in den Vereinigten Staaten als boomerang kids bezeichnet – weil sie immer wieder nach Hause zurückkommen.
Besuche von Eltern in den Sprechstunden der Professoren und die Begleitung von Kindern ins Ausland wären vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen. Die Vereinnahmung auch der Universität durch die Muttis ist also ein jüngeres Phänomen, das zeigt, wie sehr die Mutti zumindest in den Gesellschaften Westeuropas auf dem Vormarsch ist. Dass in dieser Zeit die Quote an Studenten, die ihren Auslandsaufenthalt abbrechen, weil sie sich ihm allein nicht gewachsen fühlen, drastisch gestiegen ist, komplettiert das Bild.
Wenn Erwachsene immer noch an der Nabelschnur hängen, tarnen sie dies mit rationalen Argumenten: Wer soll sich sonst um Mutti kümmern? Es ist doch schön, dass unser Familienverband funktioniert, wo es doch so viele kaputte Familien gibt. Ein funktionierender Familienverband bietet in der Tat Geborgenheit, aber das ist er nur dann wirklich, wenn er auf freiwilliger Basis entsteht und nicht durch undifferenzierte Schuldgefühle zusammengekittet wird. »Ich kann die Stelle im Ausland nicht annehmen, dann wäre ja niemand mehr für Mutti da.« Diese Fürsorge ist emotional verständlich und ehrenhaft. Aber Mutti ist in den 60ern und bucht rüstig eine Kreuzfahrt nach der anderen. Sie braucht die Fürsorge ihrer Kinder nicht – jedenfalls jetzt noch nicht.
Wie du mir, so ich dir
Doch das Hotel Mama ist eine Langzeitstrategie. Muttis bauen damit für die Zukunft vor. Ein selbstständiger Sohn könnte ja erfolgreich werden: Er hätte berufliche Perspektiven, die ihn bald über seinen Heimatort hinausführen. Frauen – ganz andere Frauen als Mutti! – könnten ihn lieben, und das nicht nur emotional, sondern auch sexuell. Da träte Mutti schon mal schnell in den Hintergrund. Dem gilt es vorzubeugen!
Muttis wollen nicht allein zu Hause hocken, wenn die Kinder eines Tages selbstständig geworden sind. Eine Vogelmutter wirft ihre Kinder nach einiger Zeit aus dem Nest, sie sollen gefälligst flügge werden. Sie tut es, um sich zu erholen, um Kraft zu tanken und Platz für den nächsten Jahrgang zu schaffen. Mutti hingegen bezieht ihre Stärke aus einer möglichst lebenslangen Brutpflege. Und die Brutpflege rankt sich in erster Linie um die Söhne. Mädchen werden von der Mutti weniger verhätschelt.
Noch heute ist es in vielen Familien so, dass Mädchen in die Hausarbeit miteinbezogen werden, Jungs aber nicht helfen müssen. Dieses Muster hat die Gesellschaft so durchdrungen und ist so selbstverständlich geworden, dass es keinem mehr auffällt. Häusliches Personal wird fast nur von Frauen gestellt; lediglich im öffentlichen Bereich findet man männliche Reinigungskräfte, und auch dort nur ganz selten. Wo gibt es einen Pflegepapa, einen Tagesvater? Immer noch selten. Das Klischee der Supernanny ist stark, für das mögliche männliche Gegenstück existiert nicht einmal ein Wort. Gegen die Macht dieser Bilder kommt man nicht an.
Für diese Ungleichbehandlung gibt es einen triftigen Grund: Es sind die Söhne, die für Mütter die beste Altersvorsorge sind – jedenfalls in finanzieller Hinsicht. Sollten die Eltern nicht genug Rente bekommen und unter die Armutsgrenze rutschen, sind vorrangig die Kinder versorgungspflichtig; erst dann greift die Sozialversicherung. Von einem Vollzeit arbeitenden Sohn aber ist finanziell mehr zu erwarten als von einer in Teilzeit angestellten Tochter, die zudem noch für ihre eigene Familie zu sorgen hat.
Aus diesem Grund erhält der Sohn mit der Erziehung den ganz klaren Auftrag: Sei beruflich erfolgreich! Die Tochter wird nicht zum Ehrgeiz erzogen, denn die heiratet sowieso und ist erst mal für die Schwiegermutter gebucht. Eine enge Mutter-Sohn-Bindung hält den Prinzen hingegen lebenslänglich bei der Stange. Die Gegenleistung der umsorgten und verhätschelten Söhne wird dann später eingefordert.
Die materielle Versorgung ist eine Sache, Zuwendung und liebevoll miteinander verbrachte Zeit eine andere. Für den Fall, dass man im Alter Pflege benötigt, ist es angenehmer, von einem vertrauten Menschen betreut zu werden und ihn hin- und her hetzen lassen zu können, als in einem anonymen Pflegeheim vor sich hinzusiechen, weil niemand auf einen hört. Dafür
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