Mythor - 050 - Die Mauern von Logghard
nicht aus alleiniger Kraft uns alle befördert haben kann. Also muss es auch hier Große geben. Außerdem weist mich der Helm der Gerechten in eine bestimmte Richtung. Logghard muss zumindest ganz nahe sein.«
»Die Sache gefällt mir trotzdem nicht«, sagte Sadagar. »Warum zeigen sich die Großen nicht, die uns hergeholt haben?«
»Ich muss dem Steinmann zustimmen«, sagte Luxon. »Ich würde mich an deiner Stelle nicht zu sehr auf die Großen verlassen. Irgend etwas stimmt hier nicht.«
Mythor nickte zögernd. Er war nicht ganz Sadagars und Luxons Meinung, wenn auch er kein Freund der Stummen Großen war. Er verabscheute ihre Rituale und die Art der Selbstverstümmelung, die sie betrieben, indem sie sich die Münder zunähten. Aber er wusste auch, dass sein Schicksal eng mit diesem Geheimbund verknüpft war und dass die Großen allein das Rätsel seiner Herkunft kannten. Da er die Großen wegen ihrer eigenartigen Methoden verurteilte, konnte er nicht recht glücklich darüber werden, dass sie ihn unterstützten. Einige Male hatte er sich bereits gegen ihre Hilfeleistungen gewehrt und sich gegen ihren Willen gestellt.
Manchmal dachte Mythor sogar, dass ihm die Großen als Feinde lieber wären denn als Freunde. Doch das war vermutlich ungerecht.
Wie auch immer, trotz aller Bedenken gegen diesen mächtigen Geheimbund hatte Mythor keinen Grund, an Flüsterhands Versprechen zu zweifeln, dass er sie nach Logghard befördern würde.
Denn der Große aus Erham hatte glaubhaft versichert, dass alle in der Ewigen Stadt der Ankunft des Sohnes des Kometen harrten.
Seltsam nur, dass ausgerechnet blutrünstige Mabaser zu seinem Empfang bereitgestanden hatten.
»Schade, dass uns Gfeer entwischt ist«, meinte Mythor wie zu sich. »Der Anführer der Mabaser hätte uns sicher einige Fragen beantworten können.«
»Ich habe eine Idee, wie wir doch noch an ihn herankommen könnten«, sagte Luxon. »Als Köder für eine Falle wäre ein Teil deiner Ausrüstung vorzüglich geeignet. Denn ich gehe davon aus, dass die Mabaser es einzig auf die Waffen des Lichtboten abgesehen hatten. In diesem Falle wird Gfeer zugreifen, wenn sie ihm angeboten werden.«
»Vielleicht wäre die Sache einen Versuch wert«, meinte Mythor überlegend.
*
»Wo sind wir?«
»Wie lange sind wir unterwegs?«
»Ist es Tag – oder haben wir Nacht?«
»In welcher Richtung geht die Sonne auf? Wo ist sie?«
Solche und ähnliche Fragen beschäftigten die Krieger jenes Heeres, das durch die ewige Dämmernis zog.
»Ich esse nichts, habe aber dennoch keinen Hunger. Ich marschiere, ich weiß es, denn wenn ich an mir hinunterblicke, dann sehe ich, dass ich einen Fuß vor den anderen setze. Ich kann sprechen und ich denke… Wieso fühle ich mich trotzdem wie tot?«
»Denke besser nicht. Denke nicht daran, dass es eine Sonne und einen Mond und Sterne gibt und eine Welt, die von Himmel, Horizont und Boden begrenzt wird. Zieh weiter, Kamerad, vielleicht kommen wir einmal an ein Ende.«
»Wie viele sind wir? Vier Hundertschaften? Oder mehr?«
»Mehr.«
»Zehn…?«
»Mehr. Tausende – es ist schrecklich. Unvorstellbar. Aber zieh weiter, Kamerad.«
»Wieso nennst du mich so?«
»Weil wir das gleiche Schicksal haben. Wie heißt du?«
»Clewyn.«
»Ich bin Loennis von Broudan.«
»Hast du Freunde hier?«
»Viele…«
Der Reiter mit dem Federbuschhelm zügelte sein Pferd und ließ die Kolonne der Krieger an sich vorbeiziehen. Er sah viele unbekannte Gesichter und hörte viele klingende Namen. Er lauschte den Gesprächen, ohne ihren Inhalten auf den Grund zu gehen. Alle Krieger drückten mit den verschiedensten Worten dasselbe aus: ihre Hoffnungslosigkeit, die Sinnlosigkeit ihres Marsches ohne Ziel – sie fühlten sich als wandelnde Tote, waren abgestumpft, niedergeschlagen.
Loennis von Broudan hörte bei einigen hundert zu zählen auf. Die Kolonne wurde immer ungeordneter.
»Da bist du ja, Kamerad«, sagte der Caer, der sich ihm als Clewyn vorgestellt hatte und der nun in dem Haufen marschierte, den Loennis von Broudan an sich vorbeiziehen ließ. »Ich habe nicht bemerkt, dass du vorausgeritten bist. Warst du an der Spitze des Heerzugs?«
»Ich bin nicht vorausgeritten«, sagte der ugalische Heerführer. »Ich bin zurückgeblieben und habe mich nicht vom Fleck gerührt.«
*
Irgendwie erinnerten Mythor die Gegebenheiten an die Piratenstadt Thormain an der Küste Yortomens. Dort hatte es eine »Stadt unter der Stadt« gegeben, doch besagten die
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