Nachrichten aus einem unbekannten Universum
zu Zeit der Himmel auf den Kopf gefallen. Und darum kennen wir auch ihre zarten Seiten.
Das kam so: Als die Varanger-Eiszeit endete, wusch Dauerregen das angesammelte Kohlendioxid aus der Atmosphäre und verwandelte die Kontinente in eine schlammige Wüste. Immer wieder lösten sich gewaltige Lawinen und donnerten vom Land ins flache Schelfmeer. Wer das Pech hatte, dort gerade unterwegs zu sein, wurde im Eilverfahren begraben und konserviert, geschützt vor Bakterien und Aasfressern. Spätere Fossilien von Krebsen zeigen, dass manche der Tiere noch versucht hatten, sich aus den unvermutet niedergehenden Lawinen rauszuwühlen, bevor sie erstickten. Andere wurden bei der Häutung erwischt oder beim Sex, manche beim Fressen oder mitten im schönsten Verdauungsschläfchen. Paläontologen freuen sich über die hohe Mortalitätsrate. Durch die Blitzkonservierung blieb weiches Gewebe erhalten, was Fachleute nun in die Lage versetzt, dezidierte Aussagen über eine verschwunden geglaubte Biologie zu treffen.
Grundsätzlich sind Meeresfossilien eher rar. Wer im Ozean lebt, kommt kaum in den Genuss einer Landbestattung, sondern tut seinen letzten Schnaufer auf dem Meeresboden. Ozeanische Platten schieben sich im Verlauf ihrer Wanderungen unter kontinentale Platten, tauchen ab in die Asthenosphäre und werden dort aufgeschmolzen, samt der Friedhöfe, die so für alle Zeit verloren gehen. Nur selten staut sich Meeresboden am Kontinentalrand derart, dass er sich auffaltet und dem Festland zugesellt — dann allerdings mit beachtlichem Resultat. So entstanden die Alpen und die Rocky Mountains, und darum finden sich Überreste längst verblichener Seebewohner in Regionen, die sich mit Taucherbrille und Flossen eher schwer bereisen lassen.
Eine der Stätten des großen Sterbens liegt denn auch dort, wo man es am wenigsten vermuten würde, nämlich in den südaustralischen Flinders Mountains. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts hatten sich deutsche Geologen in den dortigen Ediacara-Hügeln herumgetrieben, aber nicht begriffen, was sie vor sich hatten. Den wahren Reichtum erkannte erst der Australier Reginald Sprigg, als er in Sedimenten, die einst den Grund flacher Meere gebildet hatten, auf versteinerte Abdrücke amorpher Kreaturen stieß. Die Gesteine der Ediacara-Formation sind bis zu 600 Millionen Jahre alt, künden also von der Zeit, als auf der Erde eben wieder die Heizung ansprang. Eigentlich hatte Sprigg etwas ganz anderes in der Region zu tun, nämlich die Erforschung alter Bleiminen. Er war Bergbaugeologe und an Orten unterwegs, zu denen sich Paläontologen selten verirren. Aber Sprigg hatte einen Blick für Fossilien. Was er fand, erinnerte an kleine Eierkuchen, Federn und Blätter, sämtlich ohne Panzer und andere harte Bestandteile, definitiv aber den Mehrzellern oder — im Fachjargon — Vendobionten zugehörig. Quallen und Korallen ließen grüßen, auch Medusen und Hohltiere, doch so recht schien keines der Wesen zur bekannten Fauna nachfolgender Zeitalter passen zu wollen. Was würde man als Nächstes finden? Die dazugehörigen Ufos?
In den folgenden Jahren entbrannte eine lebhafte Diskussion, womit man es eigentlich zu tun habe. Inzwischen waren rund um den Globus weitere Fundstätten entdeckt worden, von Neufundland über England bis Russland, und viele der Organismen hatten Namen erhalten. Dickinsonia ähnelte einer schwimmenden, überdimensionalen Schallplatte nach Hitzebehandlung und erinnerte damit an nichts, was heute lebt und atmet. Charniodiscus war blattförmig und ruhte auf etwas Tulpenzwiebelartigem, möglicherweise ein Fuß, mit dem er, sie oder es fest im Boden verankert war. Mawsoniten könnten wie schwimmende Montgolfieren oder Dachkonstruktionen von Kinderkarussells über Charniodiscuswälder getrieben sein, die sich sanft in der Strömung wiegten, während sich zwischen ihnen Kimberella dahinschleppte, versehen mit einem langen, biegsamen Elefantenrüssel und einer weichen Rückenschale, die wie der Vorläufer eines Panzers anmutet. Manch einer fühlt sich bei Kimberella auch an ein zerkautes Maoam mit Sturzhelm erinnert, je nach Naturell. Das Ärgerliche an den Ediacara-Fossilien ist, dass sie vielfach in grobkörniges Sediment gebettet sind, was den Blick auf Details erschwert, der Phantasie jedoch erlaubt, allerlei Blasen zu werfen. Was waren beispielsweise Pteridinium und Charnia wardi, immerhin zwei Meter lang? Reste schmucker Zimmerpflanzen? Geäderte Reliefs lassen auf etwas Farnartiges
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