Nachrichten aus einem unbekannten Universum
manierlich schwimmen und erregte damit naturgemäß das Interesse von Vetulicola, einem U-Boot mit Paddelschwanz, das den frühen Panzerfischen zugerechnet wird. Fallschirmartige Eldoniae zogen mit anmutigen Bewegungen vorbei und nahmen einem herannahenden Anomalocaris die Sicht, der eben noch überlegt hatte, ob ihm eher Marella oder Vetulicola schmecken würde. Plötzlich hatte er beide aus den Stielaugen verloren, dafür fiel sein Blick auf Wiwaxia. Ein schuppiges Hügelchen mit langen, aufwärts gebogenen Schwertern, das schneckengleich das Sediment durchkämmte und den Mund unterm Bauch trug. Ob die stachelige Nuss zu knacken war? Der Jäger entschied, die Sache positiv anzugehen, was dem seltsamsten aller kambrischen Geschöpfe Zeit zur Flucht verschaffte: Hallucigenia könnte einem Gemälde Salvador Dalis entsprungen sein, eine Schlange auf biegsamen Stelzen, deren Rückenstacheln ebenso lang sind wie ihre Beine und die Paläontologen über Jahre an den Rand des Wahnsinns getrieben hat — ständig vertauschten sie Ober- und Unterseite. Und überall wanden sich gepanzerte Stummelfüßer, Lobopoden, zwischen Schwämmen und Anemonen hindurch, zogen sich mit klauenbesetzten Beinchen an Schwämmen wie Quadrolaminiella hoch und zermahlten deren Außenhaut zwischen kräftigen Beißerchen.
Ein Alptraum? Ach was. Nicht mehr oder weniger als heute. Nur halt ein bisschen anders.
Evolutionsbiologen interessiert vor allem, warum Miss Evolution zu Beginn des Kambriums wie aus einer Laune heraus zwei bahnbrechende Neuerungen einführte: den bilateralen Körperbau und die Panzerung. Bis dahin waren Vielzeller weich und larvenähnlich gewesen, selten mehr als ein paar tausend Zellen im Verbund. Einige wenige allerdings schienen die Fähigkeit entwickelt zu haben, ihren Genen spezielle Aufgaben zuzuweisen. Dadurch konnten sie größer werden und Körperteile mit definierten Funktionen ausbilden. Der symmetrische Körperbau, den alle späteren Vielzeller aufweisen, entstand, weil ein schwimmendes oder kriechendes Tier mit Augen, Maul und After auf Bewegungsstabilität angewiesen war. Nur dem schottischen Haggis sagt man nach, Vorder- und Hinterbein der linken Seite seien kürzer als die der rechten, damit es in den steilen Hängen der Highlands besser Halt fände. Schottische Kellner erzählen gerne, wie man das scheue Haggis fängt. Drei Männer braucht es dazu: Einer, der sich ihm von hinten nähert und es erschreckt, sodass es davonläuft. Ein anderer, der brüllend und fuchtelnd von der entgegengesetzten Seite kommt und das Haggis in neuerliche Panik versetzt, sodass es umdreht, dank der Besonderheit seines Körperbaus den Halt verliert, zu Tale rollt und vom dritten Schotten eingesammelt wird. Englische Touristen, die nicht begriffen haben, dass die graubraunen Scheiben auf ihrem Teller ein mit Innereien, Hafermehl und Zwiebeln gefüllter, aufgeschnittener Schafsmagen sind, geraten angesichts der merkwürdigen Gegebenheiten schon mal in Panik und wollen zu ihren symmetrisch korrekten Schafen zurück. Ein bilateraler Körperbau ist also von Vorteil, weshalb man die Tiere ab dem Kambrium auch als Bilateria bezeichnet.
Schwieriger beantwortet sich die Frage, woher die Panzer kamen. Die damaligen Weichlinge werden kaum eine geheime Waffenkammer entdeckt haben, nach dem Motto: Hey, cool, ich nehme die Zangen. — Ach ja? Dann schlüpfe ich in den Panzer da. — Pah, nützt dir gar nichts, guck mal das feine Gebiss, damit knacke ich deinen blöden Panzer. — Ätsch, geht ja gar nicht, vorher ramme ich dir meinen Stachel sonst wohin! — Und so weiter, und so fort.
Möglicherweise findet sich die Antwort in der Varanger-Eiszeit. Wandernde Gletschermassen hatten im Verlauf von Jahrmillionen tonnenweise Sediment von den Kontinenten geschabt und ins Meer befördert. Vor 600 Millionen Jahren dürfte der Boden des Ozeans von glazialen Tilliten übersät gewesen sein. Auch heute gelangen mit Eisbergen unablässig Sedimente auf den Grund des Südpolarmeers. Ebenso war es während der Varanger-Vereisung. Wir haben gesehen, dass sich die Schneeball-Theorie weltweiten Funden von Tilliten verdankt, die gegen Ende des Proterozoikums den Meeresboden bedeckten und im Zuge der Plattenbewegungen an Land gelangten. Damals, als der Planet fast vollständig von Eis bedeckt und die Meeresoberfläche bis in Tiefen von 1.500 Metern zugefroren war, drohte das Leben einen Kollaps zu erleiden. Die Photosynthese war in weiten Teilen der Erde
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