Nacht
Zeit sind einige in der Stadt entstanden, alle von Jugendlichen gebildet, die kein Ziel im Leben haben oder keine Hoffnung, etwas Gescheites damit anzufangen. Außerdem sind diverse alarmierende Anzeigen eingegangen: Haustiere, die verschwunden sind und dann tot und ohne Eingeweide aufgefunden wurden, befremdliche Symbole, die mit Blut an die Wände verlassener Lagerhäuser geschmiert wurden, vermisste Jugendliche.«
Mit Schrecken denke ich, dass es Naomi noch schlimmer hätte ergehen können.
»Solche Sachen sind schon immer passiert, doch jetzt ist die Situation ernster, als man allgemein glaubt. Oft sind ganz normal wirkende Personen darin verwickelt, untadelig, unverdächtig. Was ist dieser Tito für ein Typ?«
»Ziemlich ungewöhnlich, mit Mandelaugen und einem dunkelblonden Pferdeschwanz. Ich habe vor ihm noch nie einen blonden Asiaten gesehen.«
»Und seine Freunde?«
»Habe ich nie kennengelernt. Ich erinnere mich nur an diesen Tito, weil er vor unserer Schule herumgehangen hat, wahrscheinlich, um sich seine Opfer auszusuchen. Und als er Naomi getroffen hat …«
»Seitdem hast du ihn nicht mehr gesehen?«
»Nein, er ist wie vom Erdboden verschluckt.«
»Tito. Kein Nachname, keine Adresse, nichts?«
»Ich fürchte, nein.«
Kommissar Sarl steht auf. »Alma, ich spreche mit dir wie zu einer Erwachsenen. Es ist von lebenswichtiger Bedeutung, dass du mit niemandem über diese Angelegenheit redest, noch nicht einmal mit deiner Mutter oder deinen Freundinnen. Und du darfst auch nichts in der Schülerzeitung darüber schreiben. Das wäre sehr gefährlich. Hast du verstanden?«
»Ja, ist gut.«
»Ich werde die Ermittlungen in dieser Richtung weiterführen und nach dem Namen fahnden lassen. Vielleicht kommt etwas dabei heraus. In dem Fall wirst du die Erste sein, die es erfährt.«
Ich nicke.
»Und überzeuge deine Freundin, hier aufs Revier zu kommen, sobald sie kann.«
»Ich tu mein Bestes.«
»Jetzt geh nach Hause. Deine Mutter wird sich schon Sorgen machen. Ich lasse dich von einem Beamten fahren.«
»Danke, Inspektor. Danke für alles.«
Mir ist nicht danach, diese unerwartete Mitfahrgelegenheit abzulehnen. Nach all dem, was mir passiert ist, macht mir die Nacht Angst.
»Dank mir erst später.«
Er bringt mich zur Tür. Wir gehen gemeinsam von seinem Büro zum Eingangsbereich, wo er mich einem uniformierten Polizisten anvertraut. Wir nehmen einen Dienstausgang. Von Roth weit und breit nichts zu sehen.
Als ich das Polizeirevier verlasse, habe ich ein leichteres Gewissen, aber einen schweren Kopf von den neuen, zu verarbeitenden Informationen, zu ziehenden Schlüssen, aufzudeckenden Hinweisen. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass die Spur der Sekte sich als richtig erweist und meine Alpträume bald ein Ende haben werden.
Der Streifenwagen riecht nach Kaffee und hat ein verschmiertes Armaturenbrett. Der Beamte sagt kein Wort. Ich auch nicht.
Ich lehne den Kopf an das feuchte Seitenfenster und sehe die Stadt mit ihren Lichtern an mir vorbeiziehen wie einen unverständlichen Stummfilm.
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Kapitel 47
W ieder in der Frittierstube.
Tea sitzt mir schweigend gegenüber. Ein bläulich lila Fleck in ihrem Gesicht und der verheilende Riss an der Lippe erinnern noch an den inszenierten Raubüberfall. Zwischen uns ein Teller voll knuspriger Fritten, von dem eine spürbare, klebrige Wärme aufsteigt.
»Hast du Neuigkeiten für mich?«
Tea zieht etwas aus ihrer Schürzentasche. Einen gefalteten Zettel. Sie legt ihn auf den Tisch und schiebt ihn zu mir hin.
Ich entfalte ihn. Eine Adresse steht darauf.
»Da ist es?«
»Ich glaube, ja.«
»Wohnt er allein?«
»Das ist nicht seine Wohnungsadresse, sondern die des Schlupfwinkels, wo er sich mit den anderen versammelt.«
»Du bist nie dort gewesen?«
»Nein.«
»Wie bist du da rangekommen?«
»Das war nicht abgemacht. Du wolltest eine Adresse, da hast du sie. Es war nicht einfach, sie herauszufinden.«
»Warum?«
»Weil ich noch nicht … eingeweiht bin. Du weißt es ja inzwischen sowieso. Sie … gehören einer Sekte an.«
»Dann gibt es also eine Art von Hierarchie. Und du bist auf der untersten Stufe.«
»Genau. Deshalb darf niemand erfahren, dass ich dir diese Adresse gegeben habe. Sie würden mich verschwinden lassen. Es gibt keine Gnade für Verräter.«
»Ich werde kein Wort sagen, sei unbesorgt. Aber du solltest aus dieser Szene aussteigen.«
»Ich denke darüber nach.«
»Was meinst du, was … dort ist?«, frage ich, auf die
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