Nacht der Hexen
Leer.
»Stimmt irgendwas nicht?«, fragte Cary.
Ich griff nach Savannah und zog sie hinter mir her, als ich mich in den Gang hinauswagte. Wir schoben uns an der Wand entlang, auf die Treppe zu. Auf halber Strecke blieb ich stehen und horchte. Stille.
»Habt ihr Schwierigkeiten mit irgendjemandem?« Carys Stimme trieb aus seinem Büro zu uns heraus und hallte im Gang wider.
Ich schlich mich zurück zum Büro und schloss die Tür; dann sperrte ich ihn mit einer Schließformel darin ein. Ich hätte mir die Mühe gar nicht zu machen brauchen. Cary hatte offenbar gar nicht die Absicht, den Hals zu riskieren; stattdessen saß er hinter seinem großen Schreibtisch und stellte sich ahnungslos.
Der Gang war ringsum geschlossen und auf beiden Seiten von Türen flankiert; an der linken Wand führte die Treppe nach unten. Ich winkte Savannah, sie sollte mir folgen, und glitt rasch den Gang entlang, bis ich noch einen halben Meter von der Treppe entfernt war.
»Warte«, flüsterte Savannah.
Ich winkte ab und beugte mich vor. Savannah packte mich am Ärmel und riss mich wieder nach hinten, dann bedeutete sie mir, ich sollte mich bücken oder in die Hocke gehen, bevor ich am Geländer vorbeisah. Okay, das war wahrscheinlich sinnvoller, als den Kopf an exakt der Stelle vorzustrecken, wo man ihn zu sehen erwarten würde. Ich ging in die Hocke und sah die Treppe hinunter. Leer. Ich konnte in das Wartezimmer im Erdgeschoss hineinsehen. Ebenfalls leer. Anderthalb Meter vom Fuß der Treppe entfernt lag mein Ziel – die Haustür.
Als ich mich zurückzog, fing ich ein kurzes Blitzen von reflektiertem Sonnenlicht auf, erstarrte und sah noch einmalhin. Die Haustür stand ein paar Zentimeter weit offen. Hatte Savannah sie aufgelassen, als wir hereingekommen waren?
Ich drehte mich zu ihr um. »Tarnzauber«, formte ich mit den Lippen.
Ihre Lippen wurden schmal. Ihre Augen blitzten trotzig. Bevor sie den Mund aufmachen konnte, fing ich ihren Blick auf und hielt ihn fest.
»Tarnzauber«, zischte ich.
Noch ein wütender Blick, dann senkte sie die Lider. Ihre Lippen bewegten sich, und dann war sie verschwunden. Unsichtbar. Solange sie sich nicht bewegte, würde niemand sie sehen können. Ich wartete noch eine Sekunde, um sicherzustellen, dass sie verborgen blieb, und schlich mich dann auf die Treppe hinaus.
Ich brauchte eine Ewigkeit bis nach unten. Stufe, Innehalten, Horchen, Ducken und Nachsehen, dann die nächste Stufe. Eine Treppe hinunterzugehen kann gefährlicher sein, als man meinen sollte. Jemand, der auf dem unteren Treppenabsatz steht, sieht einen lange, bevor man selbst ihn sieht. Daher die Vorsichtsmaßnahmen – obwohl ich bezweifelte, dass sie mich vor jemandem geschützt hätten, der mit einer Schusswaffe unten wartete.
Wobei ich mir wegen Schusswaffen eigentlich noch die wenigsten Sorgen machte – Paranormale verwenden keine. Wenn Leah wirklich da unten war, würde sie wahrscheinlich eher Telekinese einsetzen, um mir die Beine wegzureißen, mich die Treppe hinunterzuzerren und mir dabei das Rückgrat zu brechen, so dass ich noch am Leben, aber gelähmt unten liegen würde und sie mich mit einem fliegenden Aktenschrank zerschmettern könnte. Viel besser, als erschossen zu werden. Wirklich.
Als ich endlich unten war, griff ich nach der Türklinke. Ich packte sie, zog ruckartig – und wäre beinahe mit dem Gesicht voran gegen die Mauer gekracht, als die Tür sich nicht bewegte. Als ich das Gleichgewicht wieder gefunden hatte, sah ich mich um und zog noch einmal. Nichts. Die Tür stand drei Zentimeter offen, ließ sich aber weder ganz öffnen noch schließen. Eine Blockadeformel? Es kam mir nicht so vor, aber ich versuchte es trotzdem mit der Blockadebrecherformel. Nichts geschah. Ich packte die Kante der Tür. Meine Finger glitten mühelos durch den Spalt, aber ich konnte die Tür nicht weiter öffnen. Ich sprach eine Löseformel. Nichts. Mir war nur allzu bewusst, dass die Zeit verging, dass ich mitten im Schussfeld stand und an der Tür herumzerrte, ein leichtes Ziel, während Savannah sich oben im Gang versteckte und zweifellos allmählich die Geduld verlor. Nach einer letzten Runde von Bahnbrecherformeln ließ ich mich mit dem Rücken gegen die Wand fallen und versuchte, zu Atem zu kommen.
Wir saßen in der Falle. Wirklich und gründlich in der Falle. Jeden Moment würden Leah und Sandford und der Himmel wusste was für Paranormale noch auftauchen, und wir würden –
Herrgott noch mal, Paige, reiß dich
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