Nacht
Falten eines Kissens eingedrückt, und ihr kurzes, blondes Haar war so verstrubbelt, dass es in alle Richtungen abstand.
Sie war zwei oder drei Jahre jünger als ich. Und wunderschön.
Sie war nicht auf jene exotische, glamouröse Weise schön, wie man sie aus Modezeitschriften kennt, sondern eine Naturschönheit, die mich irgendwie an eine Cheerleaderin aus Iowa erinnerte.
Ich hätte meinen linken Arm dafür gegeben, so schön wie diese Frau zu sein.
»Wo wollten Sie denn hin?«, fragte sie.
»Vielleicht bin ich im falschen Haus.«
Sie zuckte mit den Achseln.
»Ist das hier Little Oak Lane Nummer 645?«
Warum hatte ich nicht 465 gesagt, dann hätte sie mir antworten können: Nein, da haben Sie etwas durcheinandergebracht, und damit wäre die Angelegenheit erledigt gewesen.
Aber ich war neugierig und wollte herausfinden, was hier los war.
Und andererseits war das Kind ohnehin schon in den Brunnen gefallen, weil sie mich gesehen hatte.
Und ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte.
Nachdem sie die Adresse gehört hatte, schaute sie mich an und sah noch verwirrter aus als zuvor. »Das stimmt, aber …«
»Wohnt denn Tony nicht hier?«, fragte ich.
»Welcher Tony?«
»Tony Romano.«
»Wie bitte?« Jetzt war sie wirklich überrascht. »Tony Romano?«
»Ist das hier nicht seine Wohnung?«
»Nein, es ist meine.«
»Aber Sie kennen Tony?«, fragte ich.
»Sicher. Und Sie? Kennen Sie ihn?«
»Er hat mir diese Adresse gegeben.«
»Weshalb?«
»Er hat gesagt, dass er hier wohnt. Und dass ich heute Nacht zu ihm kommen soll. Sehen Sie?« Ich hielt ihr den Schlüsselbund vor die Nase. »Er hat mir sogar seine Schlüssel gegeben, damit ich drinnen auf ihn warten kann.«
»Wieso das denn?«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Aber er wohnt doch gar nicht hier.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Das hier ist nicht seine Wohnung, sondern meine. Er wohnt drüben in der Washington Avenue.«
»Sind Sie sicher?«
»Natürlich. Ich war schließlich oft genug bei ihm. Ich verstehe echt nicht, wieso er Ihnen meine Adresse gegeben hat.«
»Das weiß ich auch nicht.«
Aber ich ahnte auf einmal, was es mit der falschen Adresse auf sich hatte. Und wer die junge Frau war.
»Sind Sie Judy?«, fragte ich.
»Ja?«, sagte sie leise. Es klang wie eine Frage.
Ich schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. »Dann müssen Sie Tonys Freundin sein.«
»Nein, bin ich nicht. Nicht mehr, zumindest. Wir waren …« Sie sagte den Satz nicht zu Ende.
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte ich und gab ihr die Hand.
»Ich heiße Alice.«
»Hallo, Alice«, erwiderte sie.
»Wieso hat er mir bloß Ihre Adresse gegeben?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Das ist wirklich seltsam. Aber Tony kann manchmal seltsam sein. Wieso kommen Sie nicht rein und rufen ihn an?« Sie öffnete die Tür jetzt ganz und ließ mich in ihre Wohnung.
Alles war ziemlich duster, denn sie hatte nur eine Lampe an.
Ich sah mich im Wohnzimmer um, in dem es viele dunkle Ecken gab, aber außer Judy schien niemand da zu sein.
Den Möbeln nach zu schließen, war Judy nicht gerade reich. Sie besaß einen alten Lehnstuhl, ein Sofa mit stark abgewetztem Bezug sowie ein paar kleine Tischchen und Lampen. An drei Wänden standen große Regale, die hauptsächlich mit Taschenbüchern vollgestopft waren.
Judy schloss die Wohnungstür und sagte: »Tony macht manchmal ausgeflippte Sachen.«
»Das ist mir auch schon aufgefallen.«
»Ist das nicht eines seiner Hemden, das Sie da tragen?«, fragte sie.
Ich zwang mich zu einem Lächeln.
Jeans und Schuhe waren auch von ihm.
Aber das würde sie wohl eher nicht bemerken, denn die meisten Bluejeans und Slipper sehen irgendwie gleich aus. Außerdem hatte ich die Jeans ja abgeschnitten.
»Ich habe es mir bis morgen ausgeliehen«, sagte ich. »Auf meinem T‐Shirt ist ein Riesenfleck.«
»Dann haben Sie ihn heute gesehen?« Es klang nicht misstrauisch, nur neugierig.
»Ja, zum Abendessen.«
»Wie geht es ihm?«
»Er vermisst Sie sehr.«
Judy zuckte ein wenig zusammen. »Ich vermisse ihn auch.
Manchmal. Nicht, dass ich wieder zu ihm zurückwollte. Wollen Sie vielleicht etwas trinken? Eine Pepsi oder ein Bier oder was anderes.«
»Gerne.«
»Wie wäre es dann mit einem Bier?«
»Klingt super.«
Ich folgte ihr in die Küche, wobei ich genau darauf achtete, dass ich nichts berührte.
Judy schaltete das Licht ein und ging zum Kühlschrank. Auf ihrem Küchentisch sah ich einen Computer und dicke Stapel mit Papieren und
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