Nachtflug Zur Hölle
Männer töten würden, um dieses Ungeheuer fliegen zu sehen.
Er stand vor dem Stealth-Bomber Fi-170 Tuman. »Tuman« bedeutet »Nebel«, und dieser Name war zutreffend, denn die Maschine erinnerte an eine riesige graue Nebelbank. Die Rumpfunterseite befand sich in gut fünf Meter Höhe, und das Nurflügelflugzeug stand auf stelzenhaften Fahrwerksbeinen. Mit nahezu 61 Metern Spannweite war die Fi-170 erheblich größer als die amerikanische B-52
Stratofortress oder der Stealth-Bomber B-2, dessen Nutzlastkapazität sie um fast 50 Prozent übertraf. Der an einen Rochen erinnernde Flugzeugrumpf wirkte dick und nicht gerade aerodynamisch, aber wenn man genauer hinsah, zeigte sich, daß er – außer in der Mitte – sogar recht schlank war.
Teresow lächelte, als ihm einfiel, was noch erstaunlicher war als dieses Flugzeug: nämlich die Tatsache, daß es ein Jahrzehnt lang unter völliger Geheimhaltung entwickelt worden war. Die westliche Fachpresse, die stets gut über sowjetische Neukonstruktionen unterrichtet war, hatte kein Wort über die Fi-170 gebracht. Selbst während der politischen Umwälzungen in Litauen war dank der von Wiktor Gabowitsch verfugten rigorosen Geheimhaltung nichts aus dem Fisikus-Institut an die Öffentlichkeit gelangt. Gabowitschs enge Kontakte zu staatlichen Stellen der ehemaligen UdSSR garantierten, daß alles, was das Fisikus-Institut betraf, zur Genehmigung über seinen Schreibtisch lief.
Mit der Geheimhaltung war es natürlich vorbei, wenn dieses Ungetüm erstmals seine Halle verließ. Aber da das amerikanische Stealth-Bomberprojekt mit nur 15 Maschinen vor sich hin dümpelte und etliche weitere Flugzeug- und Waffenprogramme gestrichen worden waren, würde die Fi-170 nicht nur die Fachwelt schockieren.
Sobald sich zeigte, daß sie tatsächlich so leistungsfähig war, wie sie aussah, würde die Sowjetunion – oder die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten oder die Republik Weißrußland, wen immer Gabowitsch und die Wissenschaftler des Instituts zu unterstützen beschlossen – plötzlich wieder die Spitzenposition im Militärflugzeugbau einnehmen.
Teresow hörte, daß Oberst Nikita Kortyschkow, der Kommandant des Sicherheitsdiensts, herankam. »Was haben Sie festgestellt, Oberst?« fragte Teresow, ohne sich von der imposanten Maschine abzuwenden.
»Im Funk herrscht heilloses Durcheinander«, meldete Kortyschkow. »Die Nachrichtenverbindungen zu mehreren abgelegenen Stützpunkten sind unterbrochen. Das könnte auf Sabotageakte zurückzuführen sein.«
Das war eine bessere Erklärung als viele, die Teresow bisher gehört hatte: Eruptionen auf der Sonne, Manöver der baltischen Flotte und dergleichen mehr. Die Litauer wurden allmählich unruhig. Sie muß-
ton zurechtgestutzt werden – vor allem Dominikas Palcikas, ihr neuer Nationalheld. An ihm würde General Woschtschanka sehr bald ein Exempel statuieren müssen. »Mich interessiert diese Fahrzeugkolonne, Kortyschkow, nicht der Funkverkehr.«
»Nähere Einzelheiten über den von Ihnen beobachteten Konvoi habe ich nicht in Erfahrung bringen können«, sagte Kortyschkow entschuldigend. »Aber da alle GUS-Truppen im Nordwesten des Landes in Alarmbereitschaft versetzt worden sind, ist diese Kolonne unter Umständen noch nicht lange unterwegs.«
»Warum hat die GUS Alarmbereitschaft angeordnet?« fragte Teresow überrascht. Er wußte noch immer nicht, auf wessen Befehl die MSB-Truppen zum Fisikus zogen, aber ihr Einsatz mußte mit dieser Anordnung zusammenhängen. »Davon weiß ich nichts!«
»Wie ich bereits sagte, ist der Funkverkehr gestört. Mehrere Stützpunkte melden sich überhaupt nicht, und das Befehlsnetz weist größere Lücken auf. Die Verwirrung ist groß. Wahrscheinlich ist die Nachrichtenzentrale in Kaunas ausgefallen oder…«
»Vermutungen interessieren mich nicht«, unterbrach ihn Teresow ungeduldig. »Ich verlange konkrete Informationen! Zurück zu den Fahrzeugen: Haben Sie wenigstens rausgekriegt, ob sie zum Fisikus unterwegs sind oder nicht?«
»Jawohl, das sind sie! Sie dürften die Einfahrt Denerokin schon fast erreicht haben.«
Teresow stand unter Zeitdruck. Gabowitsch würde in wenig mehr als einer Stunde eintreffen, und er hatte noch nicht mal mit den Wissenschaftlern gesprochen. Eigentlich brauchte ihn die Entsendung von MSB-Truppen nicht zu kümmern. Ins Fisikus kam ohnehin niemand, der nicht die entsprechende Genehmigung vorweisen konnte. Teresow würde dafür sorgen, daß Gabowitsch bei seiner Ankunft
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