Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
Lothar Mirow hat eine schwere Krise und wird den Überfall wahrscheinlich nicht überleben. Wenn er stirbt, ist das ein Mord. Und selbst, wenn Sie bei dem Angriff nicht persönlich vor Ort gewesen waren, sollten Sie sich genau überlegen, ob Sie nicht etwas gewusst haben, das uns hilft, Mirows Mörder dingfest zu machen. Sonst sind Sie der Beihilfe schuldig und auch das reicht für ein paar Jahre hinter Gittern.«
Eine ganze Menge Bluffs. Judith hoffte, dass Heppner sie schlucken würde. Das könnte ihr eine Menge Zeit und Arbeit ersparen.
Dr. Grede hatte ihrer Rede mit unbewegter Miene zugehört, wohl wissend, dass weder Mord noch Beihilfe noch das Gefängnis zutrafen. Aber ihn sollten diese Vokabeln ja auch nicht beeindrucken.
Bei Heppner wirkten sie. Erfreulicherweise.
»Gefängnis?«, fragte er zurück.
»Ja. Für eine sehr lange Zeit. Denken Sie also gut nach, wenn Sie jetzt antworten.«
Heppner stöhnte frustriert auf. »Damit will ich nichts zu tun haben. Die sollen ihren Arsch mal schön selber retten!«
Judith spürte, dass sie gewonnen hatte. Sie schwieg.
Heppner fuhr fort, sich reinzuwaschen. Nervös strich er sich über die Haare. »Also gut«, begann er seinen Bericht. »Die beiden haben einfach auf einen passenden Anlass gewartet, dem Mirow mal so richtig eins mitzugeben. Das hatten die schon länger vor. Wir sehen uns immer mal beim Fußball. Sonntag auch. Da waren alle ganz schön aufgeregt wegen des toten Mädchens. Jeder hat überlegt, wer das wohl gewesen sein könnte und der Boll hat dann den Mirow ins Spiel gebracht. Andere hatten aber vom Grambow gehört, dass der es nicht gewesen sein konnte. Beim dritten oder vierten Bier hab ich dann gehört, wie der Boll seinem Kumpel Molitz was von einer guten Gelegenheit ins Ohr laberte. Wie’s aussieht, haben die dann gestern zugeschlagen. Ob noch mehr mitgemacht haben, weiß ich nicht. Ich bin dann los.«
Judith Brunner machte sich ein paar Notizen und fragte Heppner mit Eis in der Stimme: »Passender Anlass? Um einen Wehrlosen zu überfallen? Und Sie sahen keinen Grund, etwas zu unternehmen?«
»Wieso denn? Wissen Sie, wie oft die beiden schon davon gefaselt haben, diesem Hirni mal eins überzubraten? Woher sollte ich denn wissen, dass sie diesmal ernst machen.«
~ 45 ~
Thomas Ritter saß vor einem Mikroskop und grübelte vor sich hin. Er war von Lisas gelungener Analyse der Zeugenprotokolle immer noch ein wenig beeindruckt. Von ihren freimütigen Äußerungen zu sexuellen Fantasien allerdings auch. Ihm ging das gar nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatte sachlich völlig recht, das war ihm schon klar, doch dass sie ihre Ansichten so unverblümt in die Debatte warf, hatte ihn schon verblüfft. Allerdings erstaunte Lisa ihn sowieso.
Ihr Verhältnis zur Chefin war völlig untypisch. Eigentlich war Judith Brunner ein eher distanzierter Typ, freundlich, aber kühl; ließ niemanden wirklich an sich ran. Doch bei Lisa war das anders. Die beiden Frauen verstanden sich oft ohne Worte und gingen sehr vertraut miteinander um.
Als die Chefin sie seinerzeit vom Empfang weg und in ihr Vorzimmer geholt hatte, war Ritter skeptisch gewesen. Wollte Judith Brunner sich nur ihr Vorgesetztenleben erleichtern und immer jemanden zum Scheuchen und Kaffeekochen haben? Nichts gegen Lisas Kaffee, der war wirklich gut. Inzwischen musste Ritter anerkennen, dass Judith Brunner offenbar ein gutes Gespür für Leute hatte. Als Lisa noch am Empfang Dienst in Uniform machte, hatte selbst er sie kaum wahrgenommen. Die anerkennenden Bemerkungen seiner Kollegen über ihre üppigen Formen gab es schon immer, doch neuerdings war viel bemerkenswerter: Lisa Lenz hatte entscheidenden Anteil am Erfolg ihrer Arbeit. Neidlos blieben die für sie am häufigsten benutzten Adjektive: klug, liebenswürdig, loyal, sexy. Immer öfter beneidete er den Mann, dem Lisa ihr Herz geschenkt hatte.
Thomas Ritter machte, was er immer machte, wenn er solche Anwandlungen hatte und intensiv über eine Frau nachdachte. Er stürzte sich in die Arbeit. Mit dem Thema Frauen war er nämlich durch. Das hatte er sich geschworen, als damals ... Schwamm drüber. Es tat nicht mehr weh. Er war ja auch nicht der Einzige, der auf die harte Tour hatte lernen müssen, dass es so etwas wie die ewige Liebe nicht gab. Polizisten waren eben nicht besonders gut in Beziehungsfragen. Er brauchte sich ja nur mal umzusehen. Etliche Kollegen waren geschieden; Grede stand mehr oder weniger ständig davor. Judith
Weitere Kostenlose Bücher