Nächstenliebe: Thriller (German Edition)
menschlichen Zukunft auseinanderzusetzen.
So auch an diesem Tag. Trotzdem er gesundheitlich sehr angeschlagen war, befreite er seinen Geist von seinem schwachen Körper, wie auch Jesus seinen Geist am Kreuze von seinem Körper befreite. Denn der Geist des Papstes war noch voller Willenskraft. Losgelöst vom schwachen Fleisch, drang sein Geist in Dimensionen ein, die sich jeglicher menschlicher Vorstellungskraft entzogen. Dinge, die im Fleische unerklärbar, gar unmöglich oder nicht mal im Gedankengut vorhanden waren, bekamen nun eine Einfachheit und eine Klarheit, als wäre die Antwort schon immer bekannt.
Es wird behauptet, dass Menschen wie Einstein, Da Vinci oder Ghandi über ähnliche Fähigkeiten besaßen. Diesen Fähigkeiten ihre außerordentlichen Leistungen zu Lebenszeiten verdankten.
I m Kindertagen hatten diese Fähigkeiten ihm Angst bereitet, da er sie nicht kontrollieren konnte.
Bis heute hatte er mit niemandem über seine Fähigkeiten gesprochen. Mit niemandem, bis auf Esther.
Dass er damals in Jerusalem Esther begegnete, war kein Zufall gewesen.
Sicherlich waren die historischen Besuche in Yad Vaschem, an der Klagemauer, auf dem Tempelberg, dem Felsendom, der Al-Aksa-Moschee oder der Grabeskirche und die Nachvollziehung des Leidensweges Jesu s für die Presse und die Weltöffentlichkeit das Highlight seiner Jerusalem Reise, aber für Johannes stand außer Frage, dass es etwas anderes war, was all diese Erlebnisse in den Schatten stellte. Und so verwunderte es nicht, dass Johannes sichtlich nervös war, als er vor der Hütte Esthers stand. Einer Hütte, die für Außenstehende nichts Besonderes an sich hatte.
Umso erstaunter war seine Delegation, als er den Befehl gab anzuhalten und er Anstalten machte, die Hütte betreten zu wollen.
Er wusste nicht warum er an dieser Hütte anhielt, aber seine innere Stimme sagte, dass dies das Haus war, in dem er die Antwort finden würde.
Dass er sich entgegen der Ermahnungen seiner Berater alleine in die Hütte begab, und nicht einmal dem Sicherheitsdienst Gelegenheit gab, die kleine Behausung zu sichern, entsprach ganz seinem uneigennützigen Charakter. Er wusste nicht warum, aber er hätte es als Affront empfunden, die Hütte durchsuchen zu lassen.
Dass der Sicherheitsdienst dies anders sah, schien verständlich.
Dennoch setzte er sich über die Sicherheitsbedenken hinweg und orderte an, ihm nicht zu folgen. Vor allem die israelischen Sicherheitskräfte, die von der Regierung zusätzlich zur Verfügung gestellt wurden, widersprachen dieser Entscheidung aufs heftigste. Wollten sie doch nicht riskieren, dass der Papst gerade auf jüdischem Boden sich leichtsinnig einer Gefahr hingab. Doch auch ihnen machte Johannes deutlich, dass sein Entschluss unverrückbar war. Dann lernte er sie kennen. Esther.
Und von Anfang an herrschte in ihm ein Gefühl der absoluten Harmonie und des inneren Friedens.
Zu gerne hätte er gesagt: „Hier möchte ich bleiben und sterben. Hier fühle ich mich Jesus nahe wie nie zuvor.“
Jedoch wusste er, dass dies nicht ging, denn schließlich war er der Nachfolger des Apostels Petri und trug somit eine ungeheure Verantwortung, der er sich nicht einfach entziehen konnte.
Als dann Esther ihm das Tagebuch zeigte, welches ein echtes Zeitdokument Jesu s war, kannte sein Glaube keine Grenzen mehr. Dass er eventuell einer Lüge auf den Leim gegangen war, dass Esther vielleicht das Tagebuch gefälscht hatte, kam ihm zu keiner Sekunde in den Sinn. Auch nicht, dass sie vielleicht die Absicht haben könnte, es ihm für viel Geld verkaufen zu wollen. Schließlich war sie eine arme Frau und der Vatikan reich, sehr reich.
Nein, der Papst zweifelte nicht.
All sein Handeln, Denken und Glauben, seit den Jahren seiner Kindheit, bis heute, bekam eine Logik und einen Sinn, der ihm sich in dieser Intensität nie zuvor gezeigt hatte.
Er wusste von dem Tag an, dass es seine höchste Pflicht und Ehre war, alle Lebewesen auf der Erde zu schützen. Insbesondere jene, die über keine eigene Stimme in einer Gesellschaft der Lobbyisten verfügten.
Ihm war, als würde Michael aus dem Himmel zu ihm herabschauen und ihm mit einem Lächeln zuwinken. Konnte Seine Heiligkeit ein besseres Geschenk bekommen?
War nicht letzten Endes der Papst auch der Globalisierung und somit dem Einfluss des Kapitals ausgesetzt?
Viele Menschen, selbst Kardinäle aus der Kurie sagten hinter vorgehaltener Hand: Ja.
Für Johannes gab es nur eine Antwort, die lautete: Nein.
Und
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