Narrenturm - Roman
fliegt jeder, der Krebs, der Frosch und der Lurch! Es dauert nicht mehr lange, und dann kommen sogar noch die Schwarzkittel, die Klarissen von Strehlen, hier angeflogen! Sollen wir das dulden, frage ich? Was sind das für welche?«
»Recht habt Ihr!« Eine andere Megäre ließ ihren einzigen Zahn blinken. »Recht habt Ihr, liebe Frau Sprenger! Sie sollen sagen, wer sie sind! Und wer ihnen von dem Flug erzählt hat!«
»Richtig, richtig, liebe Frau Kramer!«, brachte die Dritte völlig heiser hervor, die ganz verhutzelt war und eine imposante Kollektion behaarter Warzen im Gesicht trug. »Sie sollen es sagen! Denn das können Spitzel sein!«
»Mach dein Maul zu, alte Kuh!«, sagte die Rothaarige mit dem schwarzen Hut und trat näher. »Plustere dich nicht so auf. Ich kenne die beiden. Reicht das?«
Die Damen Kramer und Sprenger wollten protestieren, aber die Rothaarige unterbrach, mit der geballten Faust drohend, die Diskussion, und Jagna unterstrich das Ganze mit einem respektlosen Rülpser, so laut und deutlich, als käme er aus der Tiefe ihrer Eingeweide. Dann trennte eine Schar von Hexen, die den Hang heraufstieg, die Gegnerinnen.
Die Rothaarige hatte außer Jagna auch das junge Mädchen mit dem Fuchsgesicht und der kranken Haut bei sich, das ihnen an der Kultstätte geweissagt hatte.
Wie damals trug sie auf ihrem blonden Haar einen Kranz ausVerbenen und Klee. Wie damals blitzten ihre Augen mit den dunklen Ringen darunter. Und unaufhörlich blickte sie Reynevan an.
Andere starren euch auch schon an, meinte die Rothaarige. Um weiteren Zwischenfällen vorzubeugen, müsst ihr als Neulinge vor die Domina treten. Dann wird es keiner mehr wagen, euch zu belästigen. Kommt mit mir. Auf den Gipfel.
»Kann ich mich darauf verlassen«, Reynevan räusperte sich, um Macht über seine Stimme zu erlangen, »dass uns dort nichts droht?«
Die Rothaarige wandte sich um und bedachte ihn mit einem intensiven Blick aus ihren grünen Augen.
»Für Befürchtungen ist es ein bisschen spät. Ihr hättet Vorsicht walten lassen sollen, bevor ihr euch mit der Salbe eingerieben und auf die Bank gesetzt habt. Ich will ja nicht übertrieben neugierig sein, mein lieber Confrater, aber ich habe schon bei unserer ersten Begegnung gespürt, dass du einer von denen bist, die immer dort herumirren, wo sie gar nicht hingehören und sich genau dann einmischen, wenn es nicht sein muss. Ob euch von Seiten der Domina etwas droht? Das kommt darauf an. Darauf, was ihr in euren Herzen verbergt. Wenn dies Bosheit und Verrat sein sollten . . .«
»Nein«, widersprach er sofort, als sie schwieg, »das kann ich versprechen.«
»Dann hast du nichts zu befürchten.« Sie lächelte. »Gehen wir.«
Sie gingen an den Feuern und an den Grüppchen, die sich um die Hexen und die anderen Teilnehmer des Sabbats geschart hatten, vorbei. Man begrüßte sich, diskutierte, scherzte und stritt sich. Becher und Trinkschalen wurden herumgereicht, die man aus Kesseln und Bottichen füllte, und, vermischt mit dem Rauch, verbreitete sich ein leckerer Duft nach Cidre, Birnenwasser und anderen Endprodukten alkoholischer Gärung. Jagna beabsichtigte, dorthin zu gehen, aber die Rothaarige hielt sie mit einem Schimpfwort zurück.
Auf dem Gipfel des Erbsberges heulte ein starker Wind, fegte durch die Flammen, eine Milliarde Funken stob wie Feuerbienen in den schwarzen Himmel. Unter dem Gipfel befand sich eine kleine Mulde, die in einer Terrasse auslief. Dort, unter einem Kessel auf einem eisernen Dreibein, brannte ein kleines Feuer, darum herum waberten schimmernde Gestalten. Am Hang unterhalb der Terrasse warteten offenbar einige Personen auf eine Audienz.
Sie traten näher, so nahe, dass sich die durch den Dampf, der aus dem Kessel aufstieg, nur undeutlich abzeichnenden Silhouetten in drei Frauen verwandelten, die bändergeschmückte Besen und goldene Sicheln in Händen hielten. Am Kessel machte sich ein Mann zu schaffen, langbärtig und hoch gewachsen, größer noch durch die Pelzmütze und das daran befestigte Hirschgeweih. Und hinter dem Feuer und dem Rauch war da noch eine reglose, dunkle Gestalt.
»Die Domina«, erklärte die Rothaarige, als sie ihren Platz in der Reihe der Wartenden eingenommen hatten, »wird euch wahrscheinlich keine Fragen stellen, Neugier gehört nicht zu unseren Gewohnheiten. Falls aber doch, dann denkt daran, dass ihr sie
per
Domna anredet. Denkt auch daran, dass am Sabbat keine Namen gelten, es sei denn, unter Freunden. Für alle anderen
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