Nasses Grab
niedrige Steinmauer in den Garten nebenan. Ein Juwel von einem Renaissancegarten. Und kaum Besucher. Genau das Richtige für die Sommerbeilage der Post , dachte sie. Ein Feature über die vergessenen Palastgärten. Sie würde Kathy Scalia das Thema vorschlagen. Die Redakteurin war immer auf der Suche nach Besichtigungstipps für ihre Tourismusseiten. Sie streckte sich und stand langsam auf. Sie wollte noch hinübergehen auf den Laurenziberg, den Hausberg der Prager gegenüber der Burg, und ins Spiegellabyrinth, da war sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gewesen.
Als sie auf die Straße trat, klingelte ihr Handy. Petra Koderová von der Rezeption der Post war dran. Ein Mann habe für sie angerufen, sagte sie, er habe keine Nummer hinterlassen, nur gesagt, es gehe um die Mumie. Wer er sei, habe er auch nicht gesagt. Aber Petra habe ihm Larissas Handynummer gegeben, das sei doch in Ordnung gewesen? Es habe ziemlich dringend geklungen.
Dass Anděl sie angerufen haben könnte, bezweifelte Larissa – sie war wohl kaum die Erste, der er die Identität der Toten auf die Nase binden würde. Andererseits könnte es auch ein Journalist gewesen sein, der sich für den Fall interessierte. Sie hatte schließlich auch Dlouhý angerufen, als sie von den Särgen gelesen hatte. Allerdings hätte ein Reporter sicher seine Nummer hinterlassen und um Rückruf gebeten. Immerhin hatte am Morgen bereits eine Reporterin der BBC angerufen und Larissa über die Mumie ausgefragt. Während sie sich Gedanken machte, wer nun ihre Handynummer erhalten hatte, klingelte ihr Handy erneut.
»Ja bitte?«
»Larissa Kheková?«, fragte eine männliche Stimme. Es war eine tiefe, raue Stimme, so als habe der Mann sie seit Jahren mit zu vielen Zigaretten und Alkohol gequält. Möglicherweise war er aber auch nur heiser. Er räusperte sich.
»Larissa Khek, ja«, antwortete sie kühl. Sie konnte es nicht leiden, wenn ihrem Namen die in Tschechien übliche weibliche Endung -ová angehängt wurde. »Und Sie sind?«
»Unwichtig. Es geht um die Mumie aus der Metro, über die Sie geschrieben haben. Die Frau hieß Dana Volná.«
»Wie bitte?« Eine heiße Welle der Erregung durchlief sie. »Sie wissen, wer die Tote aus der Metro ist? Wer sind Sie?«
»Sie hieß Dana Volná«, wiederholte der Mann.
»Dana Volná – habe ich das richtig verstanden?«
»Korrekt. Dana Volná, die Schauspielerin.«
»Woher wissen Sie das?«
Die Leitung war tot.
Staatsanwalt Otčenášek und Kommissar Anděl saßen in Magdalena Axamits kleinem Büro im Gerichtsmedizinischen Institut. »Ich bin überrascht, dass Sie zu mir kommen, Herr Staatsanwalt. Ist das hier so üblich?«, fragte Magda lächelnd.
»Sie sind erst so kurz hier, und ich habe schon so viel von Ihnen gehört, Frau Doktor, da wollte ich mir selbst ein Bild machen. Stört es Sie?«, erwiderte er höflich.
»Ganz und gar nicht, ich freue mich, Sie persönlich kennenzulernen.«
»Sie haben unsere Bürokratie ganz schön aufgemischt, wenn ich so sagen darf.«
»Das war keine Absicht, Herr Doktor. Ich war der Meinung, es sei die beste Lösung. Man kann so eine Mumie bei diesem Wetter ja nicht einfach irgendwo herumliegen lassen. Und Oberst Kohout wollte sie partout nicht zurückhaben.«
»Ja, unser Oberst ist ein Fall für sich, aber das haben Sie ja inzwischen festgestellt. Sie haben ganz richtig gehandelt in diesem Fall, Frau Doktor. Ihr Chef wird zwar nicht begeistert sein, aber ich werde gerne mit ihm sprechen, wenn er Schwierigkeiten machen sollte. Er ist, was die Bürokratie angeht, sehr – sagen wir, eigen. Lassen Sie sich nicht von ihm einschüchtern. Er ist im Grunde ein guter Kerl, wenngleich etwas pedantisch.«
»Und cholerisch, nicht zu vergessen«, warf Anděl ein.
Otčenášek lächelte. »Ja, auch das. Aber zum eigentlichen Grund unseres Kommens: Was haben Sie bisher herausgefunden? Haben Sie schon einen Obduktionsbericht?«
»Nur einen vorläufigen. Es sind noch nicht alle Tests abgeschlossen.« Sie nahm einige Seiten von einem Stapel auf ihrem Schreibtisch und reichte sie dem Staatsanwalt. Eine Kopie reichte sie Anděl. Die beiden Männer lehnten sich zurück und lasen still. Magda widmete sich unterdessen ihrem anderen Papierkram.
Nachdem er die ersten Sätze überflogen hatte, entspannte sich der Staatsanwalt. Keine Lyrik, nur gewöhnliche, trockene Prosa, der Sache angemessen. Gott sei Dank kein weiterer verkannter Dichter wie Jirka Kratochvíl. Soweit er das Fachchinesisch
Weitere Kostenlose Bücher