Nayidenmond (German Edition)
begann er, stolz, dass seine Stimme dabei nicht schwankte.
„Gewiss, was auch sonst?“, knurrte Iyen gereizt.
„Nachdem du mich gerettet und meiner Familie zurückgegeben hattest, wurde ich in einem fensterlosen Raum regelrecht gefangen gehalten, jeder einzelne meiner Atemzüge von zwei Dutzend Elitekämpfern bewacht. Alle warteten nur darauf, dass die Oshanta zurückkehren, um zu vollenden, was ihnen nicht gelungen war.“ Vater wäre es sicher egal gewesen … Aber einem Großkönig, der nicht einmal seine Familie schützen kann, vertraut das Volk nicht … Rouven sprach diese bitteren Gedanken nicht aus.
„Unser Auftraggeber hatte ausdrücklich gesagt, dass du getötet oder zurückgelassen werden könntest, wenn wir die Frist nicht einhalten könnten. Inzwischen wissen wir ja, warum.“
Rouven entspannte sich etwas, auch, wenn Iyen immer noch ungeduldig und misstrauisch wirkte.
„Als nichts geschah und meine Wunden verheilt waren, flehte ich meinen Vater an, die Bewachung aufzugeben, andernfalls hätte ich Selbstmord begangen. Er wollte es nicht, aber ich machte ihm klar, dass ich mich lieber von Oshanta zu Tode foltern lassen würde, als auf diese Weise nur einen einzigen Tag weiterzuleben. Wächter, die nachts mein Bett umringten – wie sollte ich da schlafen? Niemand durfte zu mir, wenn er sich nicht vorher hatte durchsuchen lassen, mein Essen wurde vorgekostet. Ich durfte nicht einmal ohne Erlaubnis husten! Wächter, dir mir bis auf den Abtritt folgten, keine Ablenkung, ich durfte nichts tun, gar nichts!
Vater sah es ein und ließ Meister Karm nach Vagan bringen, damit er mich unterrichtet.“
„Der Schwertmeister.“ Iyen nickte ausdruckslos. „Ich habe gesehen, wie er kämpft, neun Attacken würde ich ihm zutrauen und noch weitaus mehr. Selbst jetzt noch, obwohl er bereits ein alter Mann ist. Ich weiß, dass er dich unterrichtet, aber was du gezeigt hast, war nicht sein Kampfstil und auch nichts, was mit seiner Schule zu vergleichen ist!“
„Was er mich lehrte, war, nicht anzugreifen. Seit sechs Jahren übe ich jeden Tag viele Stunden lang, mich zu verteidigen. Ich bin ein Meister der Parade. Ich kann Attacken schlagen, sonst könnte ich sie nicht erkennen und im Voraus erahnen; im Kampf allerdings wende ich sie nicht an.“
Verblüfft ließ Iyen ihn los, betrachtete ihn einmal mehr von oben bis unten. „Darum also … Ja, du bist extrem schnell … Bloß was nutzt es, sich nur zu verteidigen? Gewiss, du konntest mir lange standhalten, aber den Kampf hättest du niemals gewonnen.“
„Das ist nicht das Ziel. Ich wurde ausgebildet, einen Oshanta nach Möglichkeit lange genug abwehren zu können, bis die Wächter aufmerksam werden und eingreifen. Niemand, ich am allerwenigsten, bildete sich ein, ich könnte jemals gegen einen von euch gewinnen.“
Iyen packte ihn und tastete über die Muskelstränge, von Armen, Beinen, Hüften, als würde er dort etwas suchen. Rouven spannte sich erschrocken dagegen, doch ein finsterer Blick zwang ihn, es still und ohne Fragen geschehen zu lassen – wie er es versprochen hatte.
„Du bist auf Geschwindigkeit, Geschick und Ausdauer trainiert“, sagte Iyen gedankenverloren, fuhr unter Rouvens Hemd, zerrte es ihm ungeduldig über den Kopf und prüfte seine Rückenmuskeln. „Obwohl ich dich eben bis an den Rand des Zusammenbruchs getrieben habe, konntest du nach kurzer Zeit schon wieder aufstehen. Auf der Flucht war mir das ebenfalls aufgefallen … Du hast nicht genügend Kraft, aber das ließe sich noch ein wenig aufbauen …“
„Wovon sprichst du?“, fragte Rouven irritiert und versuchte so über die Schulter zu blicken, dass er sah, was Iyen da eigentlich trieb. Er wusste nicht einmal, ob er die tastenden Finger auf seiner bloßen Haut genießen oder fürchten sollte, auch, wenn Iyen ihm nicht wehtat.
Der Oshanta lächelte hintergründig, als er ihn wieder zu sich umdrehte.
„Es gibt drei Gründe, warum ich selbst einen Schwertmeister wie Karm mühelos besiegen kann: Ich habe zu kämpfen begonnen, kaum dass ich aufrecht stehen konnte, ich kenne weder Schmerz noch Mitleid, und ich bin schnell. Kampftechnik ist das eine, da wäre mir Karm ebenbürtig, vielleicht sogar überlegen, weil er älter und erfahrener ist. Die wahren Waffen eines Oshanta aber sind Schnelligkeit und Präzision.“
„Was willst du mir damit sagen?“ Rouven fühlte sich unbehaglich unter Iyens forschenden Blicken, und beunruhigt von dem, was in seinen Worten mitschwang.
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