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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Stadtzentrum zu Fuß zurücklegte, denn Epinys Ruf würde gänzlich ruiniert sein, wenn sie den Dunkelabend allein mit Spink ve r brachte. Ich war nicht sicher, dass meine Anwesenheit die Sache weniger skandalös machen würde, aber ich war entschlossen, mein Möglichstes zu tun. Spink würde in der kommenden Woche ebenso sicher ausgesondert we r den wie ich. Nicht nur Epinys Name wäre ruiniert, so n dern seiner ebenfalls, wenn er danach von der Akademie relegiert wurde. Ich nahm mein gespartes Taschengeld aus seinem Versteck hinter meinen Büchern und wickelte mir meinen dicken Schal um den Hals, während ich die Treppe hinunterstürmte.
    Der Weg vom Akademietor bis zum Droschkenplatz war mir noch nie so lang vorgekommen. Als ich auf dem Standplatz ankam, standen dort keine Droschken, aber ein Junge, der offenbar Unternehmergeist besaß, wartete dort mit einem Ponywagen. Das Pony war gefleckt, und der Wagen roch nach Kartoffeln. Wenn ich die Wahl g e habt hätte, wäre ich nie und nimmer darin mitgefahren. Ich überreichte dem Jungen das übertrieben hohe Fah r geld, das er verlangte, und stieg auf den Sitz hinter ihm. Wir fuhren los und ratterten durch die kalten Straßen. Der eisige Fahrtwind trieb mir die Tränen in die Augen, während das Pony dahintrabte. Ich zog mir den Hut ins Gesicht und schlug den Kragen hoch.
    Je näher wir dem Stadtzentrum kamen, desto augenfä l liger wurde die Festtagsstimmung. Straßen, die in der Dunkelheit und bei der Kälte normalerweise verwaist gewesen wären, waren voller Menschen. Festtagslamp i ons mit Ausschneidefiguren, die kapriolenschlagende Nachtschatten darstellten, jene lüsternen und schelm i schen Kobolde, die angeblich den alten Göttern dienten, hingen in den Fenstern oder neben den Türen nahezu a l ler Häuser. Die Menschenmassen schoben sich durch die Straßen und verstopften die Kreuzungen, und der Fahrzeugverkehr wurde immer dichter. Es war, als h a be jeder Fußgänger und jedes Fahrzeug in der ganzen Stadt da s selbe Ziel, den Großen Platz. Lange bevor wir diesen erreichten, konnte ich schon das Tosen der Menge hören und den Lichtschein sehen, der sich wie ein Schleier über ihm wölbte. Der würzige Geruch von Gebratenem und Geröstetem stieg mir in die Nase, und ich hörte die schrillen Pfeiftöne einer Dampforgel, die m it einer nicht minder schrillen Sopranstimme wette i ferte, die über ihre verlorene Liebe wehklagte. Als u n ser Ponywagen sich zum dritten Mal im stehenden Verkehr verkeilte, schrie ich dem Jungen über den Lärm hinweg zu, dass ich au s stiege, und ließ ihn und sein Gefährt dort zurück.
    Zu Fuß kam ich nur wenig schneller voran. Die Menge drängelte und drehte sich um mich herum im Kreis, und oft wurde ich von dem Menschenstrom seitwärts davo n getragen. Viele der Feiernden trugen Masken und Perü c ken. Goldene Ketten aus Papier und Glasperlen funkelten an Handgelenken und Hälsen. Andere hatten sich das Gesicht so extravagant angemalt, dass sich die Lichter in der dicken Schicht Fettschminke spiegelten. Ich sah alle Arten von Verkleidung – und fast alle Stadien der En t kleidung. Muskulöse junge Männer, meistens als Nach t schatten maskiert, bewegten sich mit nacktem Oberkö r per durch die Menge und machten schlüpfrige Beme r kungen gegenüber Frauen wie Männern gleichermaßen, zur großen Erheiterung aller Umstehenden. Es gab auch Frauen, die sich mit bloßen Armen in die Kälte getraut hatten und deren Brüste sich aus den Ausschnitten ihrer Gewänder wölbten wie Pilze, die nach dem Regen aus dem Waldboden hervorschießen. Sie trugen Masken mit üppigen roten Lippen und heraushängenden Zungen und bogenförmig geschwungenen Brauen über goldfarbig geränderten mandelförmigen Augenlöchern. Die Menge knuffte und schubste mich voran, bis ich das Gefühl ha t te, geradewegs durch einen Morast aus Menschen zu schwimmen.
    Eine Bauchladenverkäuferin rempelte mich an, nach meinem Gefühl eher absichtlich als ungewollt. Als ich mich umdrehte, um ihr meine Meinung zu sagen, grinste sie mich mit ihrem grell geschminkten Mund an und rief mit schriller Stimme: »Na, junger Mann, eine kleine Kostprobe von meinem Obst gefällig? Es ist gratis! Gre i fen Sie nur zu!« Eine Dominomaske aus Silberpapier und ihre rot angemalten Lippen waren ihre einzige Verkle i dung. Sie hielt ihr Tablett mit beiden Händen auf Brus t höhe. Dunkle Trauben, rote Kirschen und Erdbeeren u m lagerten zwei riesige Pfirsiche. Sie beugte sich zu mir

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