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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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eingelernten Sprüchen Glauben geschenkt, aber die Sache ging schief, sein Geld war plötzlich weg gewesen. Der Banker wurde lediglich versetzt (er war jetzt Berater bei einer EU -Kommission), Winterholler wurde aber immer tiefer in den Schuldenstrudel gezogen. Dunkelbrillige Inkasso-Gorillas hatten bei ihm schon vor der Tür gestanden. Am Berg wäre er ihnen ausgekommen, den Gorillas. Aber in der Ebene schien Johnny Winterholler hilflos. Jetzt befand er sich aber in einer ganz anderen Position. Gerade letzte Woche hatte er im Baumarkt ein kleines Tresörchen gekauft, dazu eine Tüte Schnellmörtel, und damit war er losgeklettert. Irgendwo musste der Schotter hin, unterm Kopfkissen war ihm zu unsicher, in die Schweiz war ihm zu weit. (Und in der Schweiz hätte es sicher auch wieder einen freundlichen, rasierwassergetränkten Berater mit eingelernten Sprüchen gegeben.) Auf den Bergen wohnt die Freiheit, auf den Bergen ist es schön, und so hatte er in zwölfhundert Meter Höhe an einer diskreten, uneinsehbaren Stelle des Wettersteingebirges eine kleine Dependance mit ein paar Tausend Euro aufgemacht, eine kleine Schatulle, gesichert durch eine todsichere Zahlenkombination, dem Zugriff der Kredithaie entzogen, es sei denn, die Kredithaie waren Kletterer jenseits des V. Schwierigkeitsgrades – und wussten zufällig den Geburtstag von Luis Trenker.
     
    Dann brach der Platzregen los, urplötzlich veränderte sich das Wetter von einer Sekunde auf die andere. Faustgroße Regentropfen knüppelten auf ihn ein und nahmen ihm die Sicht. Die Steilwand war klatschnass, das Seil schwer zu greifen, die Tritte unsicher. Bei diesem Wettersturz hatte Johnny Winterholler keinen Blick mehr für die umliegenden Schönheiten der Natur. Gut, dass dort in zwanzig oder dreißig Meter Entfernung eine kleine Mulde sichtbar wurde, eine kleine Spalte, ein kleiner Rastplatz für den müden Kämpfer. Dort konnte er warten, bis der Guss vorüber war. Johnny Winterholler hatte von seinem Auftraggeber keinerlei Vorgaben bekommen, in welcher Zeit er seine Touren zu gehen hatte. Auf den Zetteln, die auf dem Küchentisch hinterlegt wurden, waren immer nur die Eckdaten zu lesen gewesen. An seinem Geburtstag Ende April war zum Beispiel folgende Tour gefordert worden:
    Ziel: Bernadeinkopf
    Aufstieg über Kreuzeck, Durchstieg der Bernadeinwand,
    Nordwandsteig der Alpspitze,
    Abstieg über den Aschengrat
    Beginn der Tour 5.30 Uhr
    Wichtig: Anweisung einprägen, Zettel vernichten!
    Er hielt es für wichtiger, die Zettel allesamt aufzuheben. Er hatte einen kleinen Schnellhefter gekauft, hatte die Zettel mit Einmalhandschuhen angefasst und sie ebenfalls in den hochalpinen Wetterstein-Tresor gelegt. Johnny Winterholler war nicht blöd. Sein Auftraggeber war jedoch auch nicht blöd. Der Mann mit den scheinbar ziellos von Punkt zu Punkt springenden Augen hatte die Zettel ebenfalls nicht angefasst. Sie waren die fingerabdruckslosesten Zettel der Welt.
     
    Jetzt blitzte und donnerte es auch noch heftig. Die Kletteranweisung für den heutigen Tag war sonderbar gewesen. Er sollte zur vorgegebenen Zeit in diese Wand klettern und dann seine Route frei wählen, er hatte keine weiteren Vorgaben erhalten. Nun war er bei der Felsnische angekommen. Er schlug Haken in den Fels und baute sich einen sicheren Standplatz, dann holte er den Regenschutz aus seinem Rucksack und machte es sich gemütlich. Bald zog er seine alte Mundharmonika heraus und spielte La Montanara. Die verbeulte Hohner hatte einen Sturz von dreihundert Metern hinter sich, und das hohe Fis funktionierte nicht mehr. Aber seine Lieder brauchten das hohe Fis nicht. Er spielte keine Beethovensonaten, er spielte ♫ Bergvagabunden sind wir … ♫ Wenn wir erklimmen … ♫ Wohl ist die Welt so groß und weit … Und immer wieder La Montanara. Es dämmerte langsam, der Regen ließ nach. Johnny Winterholler richtete sich darauf ein, in der Wand zu übernachten. Er biwakierte gerne. Er genoss die Tatsache, dass niemand wusste, wo er war. Die Müdigkeit überkam ihn plötzlich und dringend. Eine Mücke setzte sich auf seinen Handrücken. Er schlug nach der Mücke. Seltsam. Eine Mücke in dieser Höhe? Und bei Regen? Folge der Klimaerwärmung? ♫ Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen, Bergvagabunden sind wir … Er schlief ein.

3
    chö-di chodi chö-di cho-di ch ch
    Schweizer Jodler
    »Allmächt, was ist denn da vorn los! Das ist ja ein Riesenauflauf. Das einsame Gipfelglück habe ich mir anders

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