Nobels Testament
Seite des Grabes.
Als junge Beatrice verkleidet ruft er:
Ich bin der Rächer der geschändeten Unschuld und der getretenen Gerechtigkeit.
Die Abrechnung ist gewaltig. Die missbrauchte Beatrice quält ihren Vater, den Vergewaltiger, zu Tode. Sie gießt ihm geschmolzenes Blei in die Ohren und lässt ihm die Zähne ausschlagen, und währenddessen genießt sie:
Ah, deine Klage ergreift mich. Nie hat Musik für mich entzückendere Töne gehabt.
Alfred ist mit seinem Drama sehr zufrieden. Er schreibt an Bertha von Suttner, dass er ein Drama im Stile
poetischer Prosa
verfasst habe, dessen szenische Effekte
sehr gut
zu sein versprachen.
Er versucht, es ins Deutsche und Norwegische übersetzen zu lassen, bleibt aber erfolglos.
Deshalb beschließt er, das Werk drucken zu lassen, wie es ist, auf Schwedisch, und er bittet die junge Pfarrersgattin Anna Söderblom, die mit Nathan verheiratet ist und in Paris lebt, Korrektur zu lesen. Die Druckerei befindet sich in der Rue des Saint-Pères 19. Zur Versendung an die junge Frau wird die Korrekturfahne gestempelt:
Expédiée le 10 DECEMBRE 1896.
Das Drama ist fertig, Alfred! Es ist jetzt fertig, an deinem Todestag! Die frisch gedruckten Bücher, Alfred Nobels geistiges Vermächtnis, liegen stapelweise in Pfarrer Nathan Söderbloms Stube in der Rue de Tour des Dames 6.
Und der Pfarrer liest, die Verwandten lesen, die Angestellten lesen, und man ist sich einig.
Man will sich an den Industriemagnaten erinnern, nicht an den Menschen.
Man verehrt das Geld, nicht die schöpferische Kraft. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Kirche will niemand haben, kein gewaltsames Inzestdrama, keine harte Gesellschaftskritik aus dem Grab.
Alfred dem
Dichter
will niemand nahe sein. Also verbrennt der Pfarrer die Bücher.
Er verbrennt die gesamte Auflage, bis auf drei Exemplare, die über hundert Jahre versteckt gehalten werden. So bringt man dich zum Schweigen, Alfred, ein für alle Mal. So wirst du ein letztes Mal betrogen. Aber damit ist jetzt Schluss.
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TEIL 3 – JUNI
Dienstag, 1. Juni
Gegen Mitternacht begann es zu regnen. Wie aus dem Nichts öffnete sich der Himmel, und für den Bruchteil einer Sekunde erleuchtete ein kristallklarer Blitz die gesamte Umgebung.
Annika lief zurück zu ihrem Wagen, den sie am Zaun geparkt hatte. Im selben Moment strömten die Kriminaltechniker aus dem Haus und deckten mit großen Planen den Boden um das Gebäude herum sowie die Einfahrt ab.
Sie wollen verhindern, dass der Regen die Spuren verwischt, dachte Annika. Sie haben zuerst noch ein paar Dinge dort drinnen zu erledigen, aber sie wissen, dass sie auch noch das Grundstück untersuchen müssen.
Die Männer bewegten sich schnell und zielsicher durch den heftigen Regen, dann verschwanden sie wieder im Haus.
Annika biss sich auf die Unterlippe. Langsam wurde es ungemütlich. Warum dauerte das so lange?
Sie nahm ihr Handy und rief noch einmal den wachhabenden Beamten bei der Kripo an. Während sie durch das verregnete Autofenster zum Haus hinübersah, lauschte sie auf das Freizeichen.
Ernst Ericssons Haus lag nur wenige Kilometer vom Vinterviksvägen entfernt, auf dem Weg hinunter zum Djursholmer Marktplatz. Er hatte in einer klassischen gelben Zwanziger-Jahre-Villa mit zwei Stockwerken gewohnt. Das Grundstück war platt und nichtssagend, ihrem eigenen nicht ganz unähnlich, allerdings befand sich auf der Rückseite ein großer Pool.
In dem hell erleuchteten Haus herrschte rege Aktivität. Die Lampen der Kriminaltechniker passten zu den Blitzen draußen. In einem Fenster im ersten Stock hatte sie ein farbenfrohes Hawaiihemd vorbeihuschen sehen, Q war also auch vor Ort. Als sie kam, waren die Streife und die Kripo bereits da, eine gute Viertelstunde später waren dann die Techniker angekommen.
Sie beobachtete das Haus, die Schatten, die sich im Inneren bewegten.
Dass die Polizei von einem Mord an Ernst Ericsson ausging, war offensichtlich, aber was war passiert?
In der Badewanne ertrunken, hatte der Informant gesagt, einer von den Kerlen, die den ganzen Tag Polizeifunk hörten.
Konnte stimmen, konnte aber genauso gut auch völlig falsch sein.
Das Prachtexemplar, das die Absperrung an der Einfahrt bewachte, war nicht von der redseligen Art. Sie hatte nicht mehr als fünf Worte aus ihm herausbekommen: »Könnten Sie bitte zurücktreten, danke.«
Von den anderen Medien war niemand da, sie und der Fotograf der Zeitung, Dummkopf Ulf Olsson, waren die Einzigen. Er saß in seinem eigenen Auto
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