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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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Mal verheiratet ist. Außerdem wusste ich nicht, dass ihr schon eine Tochter habt und dass das zweite Kind unterwegs ist.«
    Nhur tätschelte mir den Arm und beschwichtigte: »Ach, das ist doch nicht so schlimm. Woher solltest du denn auch wissen, dass ich mit deinem Bruder schon so lange verheiratet bin.«
    »Es tut mir Leid«, wiederholte ich, weil es mir in der Tat peinlich war. »Mein dummer Bruder Mohammed erzählt mir überhaupt nichts.«
    Lachend frotzelte Nhur: »Und das bedeutet, dass du mir nichts mitgebracht hast.«
    »Genau«, erwiderte ich, »wie schade!« Ich hatte weder etwas für sie noch für ihre Tochter oder das Baby, das sie erwartete. Ich wies auf meine Tasche: »Aber vielleicht findest du ja etwas darin, was dir gefällt, das kannst du dir nehmen.« Dann fragte ich: »Was ist denn aus Burhaans erster Frau geworden?«
    Nach langem Schweigen sagte meine Mutter: »Sie ist bei Allah im Garten des Paradieses.«
    »Oh, was für ein Unglück«, bedauerte ich ihr Schicksal. »Wie ist sie gestorben?«
    »Woher soll ich das wissen?«, fertigte Mama mich ab. »Es war ihre Zeit, und Allah nahm sie zu sich.« Wenn man einen Somali fragt, wie oder woran jemand gestorben ist, antworten sie stets: »Hältst du mich für Gott? Das weiß nur der Herr allein!« Wenn man gehen muss, geschieht es eben. Die Somalis glauben, dass es auf dem Mond einen Baum gibt, den Baum des Lebens. Wenn dein Blatt von diesem Baum fällt, dann stirbst du. Und wenn du tot bist, kommst du in den Himmel. Der Tod steht zwischen dir und Allah. Mir war klar, dass niemand mir erzählen würde, was mit der Mutter des kleinen Jungen geschehen war. Meine Mutter hatte ihn sofort zu sich genommen. Er brauchte sie, also kümmerte sie sich um ihn. Deutlich merkte ich Mama an, dass sie ganz verliebt in den Dreikäsehoch war. Er hatte sich im Bett an sie gekuschelt und wachte während unserer Unterhaltung nicht ein einziges Mal auf. Eingelullt vom Klang ihrer Stimme schlief er friedlich weiter.
    Meine Mutter sah aus – wie immer, mit ihrem wie aus Ebenholz geschnittenen Gesicht; und wenn sie lächelt, fällt einem auf, dass einer ihrer Vorderzähne fehlt. Ich nehme an, dass mein Vater ihn ihr ausgeschlagen hat, aber das würde sie natürlich nie verraten. Sie wirkte nicht verbraucht auf mich, im Gegenteil – ihre ganzen Falten verliehen ihr große Würde. Sie hat viel durchgemacht, und tiefe Furchen haben sich in ihre Züge gekerbt. Sie künden von Mühsal – und von Weisheit.
    Auf einmal begann es heftig auf das Blechdach zu trommeln. Erschrocken sprang ich auf und fragte: »Was ist das denn?« Sekundenlang konnte ich mir das Geräusch nicht erklären. Es war so kräftig und laut, hatte nicht langsam angefangen, sondern kam ganz plötzlich.
    Meine Mutter und meine Schwägerin lachten und erklärten gleichzeitig: »Das ist Regen, Waris. Endlich regnet es.«
    Mama fügte hinzu: »Danke, Allah!«
    Wie aus Kübeln goss es. Das rauscht und fließt nicht gleichmäßig – in Somalia ist der Regen ein Schlag ins Gesicht. Er prasselte auf das Blechdach wie Geschirr, das am Boden zerschellt.
    Im Laternenschein warf Mutter mir einen Blick zu. »Kind, es hat seit über einem Jahr nicht mehr geregnet!«
    »Oh, Mama«, frohlockte ich. »Mama, ich habe den Regen gebracht! Ich habe ihn mitgebracht.«
    Missbilligend schnalzte sie mit der Zunge. »Waris, du bist nicht Allah! Nimm das sofort wieder zurück. Das darfst du nicht einmal denken, geschweige denn aussprechen – vergleich dich nicht mit dem Höchsten. Es regnet, weil Allah den Regen gesandt hat – das ist nicht dein Werk!«
    »Tut mir Leid, ich sage es auch nie wieder«, gelobte ich. Es tat mir gut, von meiner Mutter wieder einmal in die Schranken gewiesen zu werden. Und für den Regen war ich ebenfalls dankbar. Auch ich fühlte mich von Allah gesegnet.
    Lächelnd sagte meine Mutter: »Ich wusste, dass du kommst.«
    Überrascht über ihre Gewissheit fragte ich: »Woher denn?«
    »Vor ein paar Tagen habe ich von deiner Schwester geträumt. Sie hat Wasser geholt und es dann mir gebracht. Sie hat das Wasserlied gesungen, und ihre Stimme wurde immer lauter. Deshalb musste eine meiner Töchter bald hierher kommen – aber ich wusste nicht, welche.«
    »Oh, Mama«, seufzte ich. Abermals traten mir Tränen in die Augen, weil wir nach all diesen Jahren immer noch so eng miteinander verbunden waren. Das hatte ich im Westen mehr als alles andere vermisst: die Kräfte und den Geist der Natur, die mir früher so

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