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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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bewohnten die solidesten Häuser. Ihre Mauern bestanden aus sonnengetrockneten Lehmziegeln und Dächern aus Wellblech. Andere Frauen hatten einfach Hütten gebaut aus allem, was sie auftreiben konnten: alten Reifen, gewebten Grasmatten und kleinen Blechplatten. Manche der Häuser waren viereckig und mit Stöcken abgestützt, außerdem gab es somalische Rundhütten aus den langen, gebogenen Wurzeln der Akazie, die man mit gewebten Matten oder Plastikplanen bedeckte. Alte Plastiktüten an den Hütten flatterten im Wind. Es wurde nichts weggeworfen, was kein großes Gewicht besaß und von Nutzen sein konnte. Wir kamen an einer Hütte vorbei, an der die Besitzer die Matten zurückgeschlagen hatten, damit innen alles trocknen konnte. Wieder andere Gebäude waren rund aus getrocknetem Lehm mit strohgedeckten, kegelförmigen Dächern. Die verschiedenen Stämme haben jeweils einen eigenen Baustil. In den Hütten gab es weder fließendes Wasser noch Strom. Irgendjemand hatte einen Verschlag für die Hühner gebaut. Er war rund mit einem Kegeldach, und eine rötliche Henne saß davor und gackerte, als sie mich entdeckte. Ein kleiner Junge, ungefähr zwei Jahre alt, folgte uns. Er durfte überall herumlaufen, das war hier überhaupt kein Problem, weil ihm nichts zustoßen konnte. Abgesehen von einem Hemdchen war er nackt. Seine Zähne leuchteten weiß in dem dunklen Gesicht, und er strahlte uns an.
    Es war genau das Leben, an das ich mich aus meiner Kindheit erinnerte. Das Dorf kam mir vor wie eine Schildkröte, die sich tief in ihren Panzer zurückzieht und einen selbst dann ignoriert, wenn man sie mit einem Stock piekst. Sie wartet einfach, bis es einem langweilig wird, und dann setzt sie ihre Reise fort – ohne die Richtung zu ändern. Die Ereignisse auf der Welt waren an diesem Dorf im Großen und Ganzen vorbeigegangen. Seit meinem Abschied von Somalia hatte sich hier nicht allzu viel verändert, nur ich selbst! Als Kind hatte ich geglaubt, alles zu besitzen, was ich brauchte – wenn man einmal von den Sandalen absah. Armut war für uns kein Thema, über das man sich den Kopf zerbrach. Ich kann immer noch kaum glauben, dass Somalia zu den fünf ärmsten Ländern der Welt gehört. Die morgendlichen Geräusche und Gerüche, das Gackern der Hühner, das Schreien der Babys, der Duft von Holzrauch und nassen Grasmatten im Dorf berührten mich auf eine Weise, wie es mir lange nicht mehr ergangen war. Ich genoss es, endlich wieder hier zu sein; aber zugleich fiel mir auf, dass keines der Kinder Schuhe besaß.
    Mein Onkel wohnte bei seiner Tochter Asha und deren Mann in einem viereckigen Haus aus sonnengetrockneten Lehmziegeln mit einem Wellblechdach. Die Tür war blau gestrichen, und in der Mitte prangte ein großer, roter Glassplitter, umgeben von kleineren, dunkelblauen Steinen.
    Onkel Achmed saß auf einem
michilis
, einem niedrigen, dreibeinigen Hocker aus gegerbtem Fell, neben seinem Haus. Seine Haare waren weiß wie die einer Ziege, und er trug den traditionellen karierten
maa-a-weiss
, der um die Taille geschlungen und vorne festgesteckt wird. Seinen Kopf bedeckte die runde, bestickte Kappe, die Männer tragen, die nach Mekka gepilgert sind.
    »Afdokle! Afdokle!«, sagte mein Onkel und wiegte sich auf seinem Hocker vor und zurück. Er nannte mich bei meinem Kosenamen, Kleiner Mund. »Setz dich! Setz dich neben mich. Lass mich dich anschauen. Oh, Kind! Isst du denn gar nichts? Du bist so dünn – bist du krank?«
    »Nein, Onkel.« Ich lachte. »Man muss nicht dick sein, um gesund zu sein.«
    »Nun«, entgegnete er, »ich finde, du siehst schrecklich dünn aus. Hast du Hunger, Kind?«
    »Ja, Onkel«, erwiderte ich. »Wir sind erst gestern Abend angekommen, und ich habe gewaltigen Hunger auf Angella.« Ich hatte es schon gerochen, als ich aus dem Flugzeug gestiegen war, und der Duft hatte mich auch heute früh geweckt – das wundervolle Aroma von Angella! Angella sind Fladen aus Hirse. Die Frauen zermahlen das Korn in einem ausgehöhlten Ast zu Mehl. Bevor sie zu Bett gehen, vermischen sie es mit Wasser und schlagen es auf, damit es glatt und luftig wird. Überall im Dorf hört man abends, wie der Teig bearbeitet wird. Es ist der reinste Wettbewerb: je lauter das Geräusch, desto besser wird der Teig. Am nächsten Morgen ist er dann aufgegangen, die Frauen machen ein Feuer zwischen drei großen Steinen. Darauf wird ein dünnes Blech gelegt. Wenn es heiß ist, geben sie einen Löffel Teig darauf und verteilen ihn dünn auf

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