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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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einfach nicht so viel gab. Plötzlich war es wichtig, Nahrungsmittel zu besorgen, sich zu sättigen. Ich hatte ganz vergessen, wie es war, keine Schränke voller Nudeln, Milch und Zucker zu haben, keine Kühlschränke voller Eier, Milch und Brot. Ich sah mich nach einem Laden um, in dem ich Brot, Käse und Dosen besorgen konnte, aber wir kamen an keinem vorbei. In Somalia gibt es kein Kühlsystem, alles muss am gleichen Tag verzehrt werden. Aber selbst wenn man genug Geld hatte, um etwas zu kaufen, nützte das nichts, denn die kleinen Läden waren völlig leer. Mohammed fragte jemanden nach dem Markt oder einem Souk. »Oh, das ist jetzt alles geschlossen. Die Händler sind schon weg«, klärte der Mann ihn auf. Er war groß und musste sich herunterbeugen, um durch das Fenster des Autos blicken zu können. »Wer ist das?«, fragte er Mohammed und wies auf mich. Offensichtlich fühlte er sich beleidigt, weil ich nicht verschleiert war. Ich schwitzte unter dem Kopftuch, zog es mir aber trotzdem über, bis er auf dem Absatz kehrtmachte. Hinterher fragte ich mich, warum ich so auf einen alten Nomaden reagierte, den ich noch nie gesehen hatte. Wahrscheinlich bin ich tief im Herzen eben doch eine somalische Frau.
    Vor einem kleinen Geschäft mit offener Tür und leeren Metallfässern vor dem Haus hielten wir an. Ein verschlafener Turbanträger stand auf, als wir eintraten, und stellte sich hinter die Theke. Auf den Regalen hinter ihm lagen einige Tuchballen, eine Kiste mit Batterien und ein paar Plastikschuhe. Er machte den Eindruck, als ob er Fremden nicht traute. Mohammed und ich hatten in Abu Dhabi hundert Dollar in somalische Shilling gewechselt. Sie hatten mir für den Dollar einige Shilling gegeben, und die Geldscheine waren zerrissen und schmutzig. Auf dem Geld befand sich ein Konterfei von Siad Barre, und ich vermutete, dass dies die letzte, offiziell von der Regierung gedruckte Währung war. Aber der Ladeninhaber wollte die Scheine nicht annehmen. »Das ist Geld für die anderen Teile von Somalia«, sagte er und gab es Mohammed zurück. »Wir nehmen hier nur das Geld von Puntland. Darauf ist ein Bild von Mohammed Egal, unserem Präsidenten.«
    Als wir wieder im Auto saßen, fragte ich Mohammed: »Wie ist es möglich, dass in manchen Landesteilen nur eine bestimmte Sorte von Geld akzeptiert wird?«
    »Hm – na ja!« Schließlich fanden wir eine Frau, die uns ein paar grüne Orangen, ein paar Päckchen Tee und Gewürze, sauber in Zeitungspapier eingepackt, verkaufte. Außerdem erstanden wir noch Reis in einem Kegel, ebenfalls aus Zeitungspapier.
    Am späten Nachmittag waren wir so müde und hungrig, dass wir an einem bescheidenen Lokal anhielten – es erinnerte an eine Garage. Obwohl es schon so spät war, hatten sie immer noch Lamm- und Ziegenfleisch, Reis und Nudeln. Zu trinken gab es Tee, Melonen- oder Papayasaft oder Wasser. Mit größtem Appetit speisten wir. Ich bestellte mir ein großes Glas Melonensaft und einen Berg Pasta. Das Fleisch aß ich nicht, weil ich es am liebsten selbst gekocht mag. Der Koch legte eine Scheibe Fleisch auf meinen Blechteller, aber es war zäh. Ich kann nicht verstehen, warum sie es nicht richtig zubereiten. Wenn sie es in einer Soße garen würden, könnte es wunderbar zart werden. Also begnügte ich mich mit den Nudeln. Da ich nicht krank werden wollte, bat ich um eine Flasche Wasser. Und tatsächlich: der Kellner brachte mir wahrhaftig eine Flasche
Ali Mohammed Jama
-Quellwasser. »Mohammed, so etwas sollten wir auch machen. Wir sollten eine Fabrik bauen!«, sagte ich zu meinem Bruder. Aber Mohammed hatte kein Interesse daran, und so aßen wir rasch weiter, damit wir meinen Vater und Burhaan endlich im Krankenhaus abholen konnten.
    Mohammed verwaltete das Geld – so glaubte er zumindest –, deshalb bezahlte er die Rechnung. Die amerikanischen Dollar behielt ich bei mir, und er hatte das somalische Geld. Es war ein wenig verwirrend wegen der zwei Präsidenten auf den Geldscheinen: der eine war Howiye, der andere Darod. Und die Scheine besaßen einen unterschiedlichen Wert. Ich musste ständig nachfragen.
    Aber normalerweise beschwichtigte Mohammed stets: »Mach dir keine Gedanken. Ich erledige das schon.« Er wusste, wie er damit umzugehen hatte, und da ich mich damit nicht abplagen wollte, überließ ich es ihm. Meinem Onkel war heiß, und er war schläfrig; deshalb hielten wir am Haus eines Vetters, damit er sich ein bisschen ausruhen konnte, bevor wir die lange Heimfahrt

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