Noras großer Traum (German Edition)
und die Tasche zu sich herangezogen. Er stellte sie Nora auf den Schoß.
»Los, her damit!«
Er kramte bereits nach einer Wasserflasche, die irgendwo zwischen dem Gepäck auf der Rückbank sein musste. Als er sie gefunden hatte, ließ er sich hustend auf seinem Sitz nieder. Nora kämpfte ebenfalls gegen einen lästigen Hustenreiz. Ihr Hals war trocken, und wenn sie ihren Mund schloss, knirschte es zwischen den Zähnen. Sie reichte ihm ein T-Shirt, das er mit Wasser befeuchtete und ihr zurückgab.
»Hier. Du musst es dir vor die Nase und den Mund halten, dann atmest du nicht so viel Staub ein.«
Sie nahm es und reichte ihm noch ein Shirt aus ihrer Tasche. Während sie sich den kühlen, feuchten Baumwollstoff vor das Gesicht drückte, warf sie einen Blick nach draußen und zuckte erschrocken zusammen, als der Wind ein großes Grasbüschel auf die Windschutzscheibe schleuderte. Außer dem stürmischen Sandgewirbel war nichts mehr zu erkennen. Nora hoffte inständig, dass die Scheiben des Wagens hielten. Der Sturm heulte und rüttelte so an dem Fahrzeug, dass Angst und Beklommenheit in ihr aufstiegen. Martin blickte fassungslos nach draußen und schüttelte den Kopf.
»Es tut mir Leid, Nora. Ich hab uns in diese Situation gebracht. Es tut mir wirklich Leid.«
Er sah völlig zerknirscht aus. Als Nora diese Feststellung machte, musste sie unwillkürlich lächeln. Das Wort »zerknirscht« hatte wahrscheinlich noch niemals eine treffendere Bedeutung gehabt als in diesem Augenblick. Sie zwinkerte ihm über ihrem Baumwolltuch zu.
»Ach, lass es gut sein, Martin. Ich wäre auch gefahren. Das Wetter hat so prächtig ausgesehen. Außerdem können wir mit dieser Geschichte bestimmt einmal Eindruck bei unseren Enkelkindern schinden, meinst du nicht?«
Erleichtert erkannte sie, dass sich die Lachfâltchen um seine Augen vertieften. Er schien nicht mehr so niedergeschlagen zu sein. Beide versuchten ruhig durch die feuchten Tücher zu atmen. Beinahe zwei Stunden vergingen, ohne dass sich der Sturm legte. Die Scheibenwischer und ein guter Teil der Windschutzscheibe waren in einer Schicht roten Sandes verschwunden. Trotz der feuchten Tücher kämpfte Nora gegen das Kratzen im Hals und einen ständig vorhandenen Hustenreiz an. Feiner Sandstaub rieselte bei jeder Bewegung aus ihren Haaren, brannte in ihren Augen und lag auf dem Armaturenbrett und in den Ablagefächern. Gerade als sie meinte, in der geschlossenen Enge des Wagens keine Luft mehr zu bekommen, ließ der Sturm nach. Das Heulen und Rütteln am Auto wurde leiser, und die Sicht klarte auf. Der schwächer gewordene Wind trieb die Wolken davon, und als die letzten Strahlen der Abendsonne durchbrachen, hätte man denken können, es habe sich um einen Spuk gehandelt.
Martin seufzte tief. »Na endlich! Jetzt bin ich aber gespannt, ob wir hier wegkommen.«
Er wollte die Tür öffnen, was ihm offensichtlich Schwierigkeiten bereitete. Erst als er sich mit der Schulter dagegen warf, ließ sie sich einen Spaltbreit aufschieben. Nora beugte sich vor und sah, dass der Wagen etwa bis zur halben Türhöhe in einer Sandverwehung steckte. Martin hatte beide Füße gegen seine Tür gestemmt und drückte sie kräftig fluchend auf.
»Genauso hab ich mir das vorgestellt!«
Beide kämpften sich durch die Öffnung und standen auf dem Highway, der in weiten Teilen mit dem roten Sand aus der ihn umgebenden Ebene bedeckt und kaum noch als Straße zu erkennen war. Nora war froh, sich nach den langen Stunden im Auto endlich einmal strecken und bewegen zu können. Einigermaßen erschüttert standen sie vor dem Wagen, der aussah, als hätte man ihn in einem überdimensionalen Sandkasten eingegraben. Es würde Stunden dauern, bis sie ihn freibekämen. Martin war einmal um das Fahrzeug herumgegangen und lehnte sich jetzt fassungslos an den Kotflügel.
»Tja, gewöhn dich schon mal an den Gedanken, dass wir heute Nacht hier bleiben müssen, denn bis wir den freigeschaufelt haben, ist es wieder Morgen.«
Nora, der bei diesem Gedanken unbehaglich zumute war, hatte einige Sekunden lang geschwiegen, dann aber doch schnell eingesehen, dass an den Tatsachen im Moment wenig zu ändern war. Also verfiel sie in Geschäftigkeit.
»Na wenn schon, Martin. Immerhin sind wir heil geblieben. Stell dir mal vor, wie es uns gehen würde, wenn die Scheiben nachgegeben hätten.« Sie sah ihn nachdenklich an. »Wasserflaschen sind auch noch im Kofferraum. Wenn ich nur wüsste, womit wir am besten graben könnten.«
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