Nordermoor
genommen.
»Was sagst du, in welches Krankenhaus wurde das Mädchen eingeliefert?«, fragte sie schließlich.
»Das Krankenhaus in Keflavík. Wie verschafft ihr euch Organe für den Unterricht?«
Hanna starrte Erlendur an.
»Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.«
»Ihr benutzt menschliche Organe für den Unterricht«, sagte Erlendur. »Organproben wird das wahrscheinlich genannt, ich bin kein Fachmann, aber die Frage ist ganz einfach. Woher bekommt ihr die?«
»Ich glaube, dass ich dir nichts darüber zu sagen brauche«, sagte sie und fing an, Papiere zu ordnen, die auf dem Schreibtisch lagen. So, als sei sie zu beschäftigt, um sich näher mit Erlendur zu befassen.
»Es ist enorm wichtig für uns«, sagte Erlendur, »für uns von der Polizei, herauszufinden, ob das Gehirn noch existiert. Möglicherweise ist es bei euch registriert. Es wurde seinerzeit untersucht, wurde aber nicht zurückerstattet. Vielleicht gibt es dafür eine ganz plausible Erklärung. Man brauchte Zeit, um den Tumor zu untersuchen, und die Leiche musste beerdigt werden. Universität und Krankenhäuser kommen am ehesten als Aufbewahrungsort für Organe in Frage. Du kannst meinetwegen jetzt gern dasitzen wie ein Buch mit sieben Siegeln, aber ich könnte dir, der Universität und den Krankenhäusern ziemliche Unannehmlichkeiten bereiten. Es ist ganz erstaunlich, wie mitteilsam man den Medien gegenüber sein kann, so lästig, wie sie sind.«
Hanna schaute Erlendur lange an, und der starrte zurück.
»Wer nicht zugreift …«, sagte sie schließlich.
»… bekommt nichts«, führte Erlendur das Sprichwort zu Ende.
»Das war im Grunde genommen die einzige Regel in diesen Dingen, aber ich kann dir nichts Genaueres sagen, wie du dir vielleicht vorstellen kannst. Das ist eine ziemlich heikle Angelegenheit.«
»Ich untersuche das hier nicht wie eine Straftat«, sagte Erlendur. »Ich weiß noch nicht einmal, ob es sich hier wirklich um einen richtigen Organdiebstahl handelt. Was ihr mit toten Personen macht, geht mich nichts an, wenn ihr es innerhalb bestimmter Grenzen tut.«
Hannas Miene wurde noch grimmiger.
»Wenn es etwas ist, was für die Medizin wichtig ist, dann kann man es zweifellos rechtfertigen. Ich muss ein bestimmtes Organ von einem bestimmten Individuum finden, um es noch einmal untersuchen zu lassen. Wenn es möglich wäre, die Sache nachzuverfolgen, von dem Zeitpunkt an, wo es entfernt wurde, bis auf den heutigen Tag, wäre ich außerordentlich dankbar. Das sind Privatinformationen nur für mich.«
»Was heißt Privatinformationen?«
»Ich habe kein Interesse daran, das an die große Glocke zu hängen. Wir müssen das Organ wiederbekommen, falls es möglich ist. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, ob es nicht gereicht hätte, eine Probe zu entnehmen, ob es wirklich notwendig war, das ganze Organ zu entfernen.«
»Natürlich kenne ich diesen speziellen Fall nicht, über den du da sprichst, aber heutzutage gelten strengere Vorschriften bei Obduktionen als damals«, sagte Hanna nach einigem Überlegen. »Wenn das in den siebziger Jahren passiert ist, dann war das ganz gut möglich, das will ich nicht abstreiten. Und wahrscheinlich sogar kein Einzelfall. Heutzutage werden die Angehörigen nach einem Todesfall sofort gefragt, ob eine Obduktion vorgenommen werden darf. Ich glaube, ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass deren Wünschen entsprochen wird, falls sie eine Obduktion ablehnen, es sei denn in extremen Ausnahmefällen. Das wird damals der Fall gewesen sein. Der Tod eines Kindes ist mithin das Schrecklichste, womit man zurechtkommen muss. Man kann sich keine Vorstellung davon machen, was die Leute durchmachen, die ein Kind verlieren, und schon der bloße Gedanke an eine Obduktion kann in solchen Fällen unerträglich sein.«
Hanna verstummte eine Weile.
»Einiges ist hier in unseren Computern erfasst«, sagte sie dann, »und anderes ist im Archiv, das sich in diesem Gebäude befindet. Darüber werden ziemlich genaue Verzeichnisse geführt. Die größte Organsammlung ist auf dem Barónsstígur. Du bist dir wohl im Klaren darüber, dass nur ein kleiner Teil des Unterrichts hier auf dem Universitätsgelände stattfindet. Er findet in den Krankenhäusern statt. Von dort beziehen wir unser Wissen.«
»Der Gerichtsmediziner wollte mir die Organsammlung nicht zeigen«, sagte Erlendur. »Ich sollte zuerst mit dir sprechen. Hat die Universität etwas in solchen Sachen zu sagen?«
»Komm mit«, sagte Hanna, ohne seine
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