Nova
Der Sauerstoff reicht nicht, nicht wahr? Und du hast in der Eile keine Flaschen deponiert… Los, Junge, mach dich auf den Weg. Allein schaffst du es. Allein hast… eine Chance.«
Gansu schüttelte den Kopf. »Ich laß dich nicht im Stich.«
Der Gedanke an die eigene Rettung hatte sich ihm schon vor Merners Worten ins Gehirn gebohrt. Welche Ironie des Schicksals. Die Hyperionmission sollte sein letzter Einsatz im Kosmos sein. So war es geplant. Danach wollte er mit Turana… Jetzt würde es im wahrsten Sinne des Wortes sein letzter sein. Danach war er tot.
Aber ich kann mich noch retten, rief es in ihm. Mein Sauerstoff reicht für den Marsch zum Schiff. Was gewinnen wir, wenn ich hierbleibe? Wir sterben beide. So kann wenigstens einer am Leben bleiben. Vielleicht ist Eleven wirklich nicht mehr zu helfen, und er bleibt zeit seines Lebens ein Krüppel, der sich wünscht, lieber gestorben zu sein, als hilflos anderen zur Last zu fallen. Vielleicht…
Ratlos hockte er neben dem Freund in der Steinwüste. Geh! schrie es in ihm. Lauf! Lauf um dein Leben!
Aber er konnte nicht. Seine Beine waren schwerer als Blei.
Die Zeit verstrich.
Gansu erinnerte sich an den Spruch, im Weltraum sei jeder Fehler unweigerlich der letzte. Sie hatten nicht nur einen, sondern gleich ein Dutzend begangen.
So viele Fehler, dachte er, gut, daß es den Tod nur einmal gibt. Hätte ich vorsichtiger und umsichtiger gehandelt, wären wir bereits im Schiff, und Eleven könnte gerettet werden. Sein Unfall war ein Zufall, aber alles andere ist meine Schuld… ich trage die Verantwortung, nur ich…
»Gansu, so hör doch, lauf los«, hörte er Merners leise Stimme. »… ist sinnlos, was du tust… nun einmal passiert. Wir können es nicht mehr ändern… haben gewußt, worauf wir uns in unserem Leichtsinn einließen.«
Nein, schrie es in Gansu, wir haben es nicht gewußt, sonst hätten wir…
»Ich werde die Heizung abstellen… So geht es schneller.«
Er hat ja recht, dachte Gansu. Unter den gegebenen Umständen ist mein Tod nutzlos.
Wie unter einem fremden Zwang stand er auf, wandte sich ab und ging ein paar Schritte. Er hatte nur noch zwei Stunden Zeit.
Aber ich kann ihn doch nicht hilflos zurücklassen, während ich zum Schiff renne, und er sieht es, sieht meine Gestalt am Horizont verschwinden… Um wieviel schrecklicher muß der Tod für ihn dann sein.
»Nein, Eleven, ich kann nicht. Ich kann dich nicht allein lassen. Ich bleibe. Vielleicht finden sie uns«, sagte er und wußte doch genau, daß keiner sie finden würde, da niemand eine Information über das Unglück erhalten hatte. Das Warten war die letzte, wenn auch vergebliche Hoffnung für sie.
Er packte Merner unter den Achseln und zerrte ihn hinüber zum Fahrzeug. Die Stahlwand gab ihm eine Illusion von Geborgenheit und Verbindung zur Heimat Erde; so fühlte er sich besser.
Merner sprach beschwörend auf ihn ein, aber er reagierte nicht mehr. Und dann war der Zeitpunkt überschritten, an dem er noch hätte losmarschieren können, um zu überleben. Gansu Thar Hu hatte entschieden. Vorbei.
Sie schwiegen.
Plötzlich sah Gansu, wie sich Merners rechte Hand langsam zum Sauerstoffventil am Gürtel bewegte. Zornig, ohne nachzudenken, schlug er den Arm beiseite.
In wenigen Minuten mußte Merners Sauerstoff zu Ende gehen. Aus der Oberschenkeltasche holte er ein T-Stück, rastete in beiden Skaphandern die Ventilklappen ein und schloß die Schläuche an das Verbindungsglied. Nun hatte der Tod fünfundvierzig Minuten an Terrain gewonnen.
Jetzt dauert es nicht mehr lange, sagte sich Gansu und fühlte, wie sein Herz zu zerspringen drohte. Schade, ich hätte gern weitergelebt. Warum bin ich nicht gegangen?
Er versuchte wieder, sich das Bild Turanas ins Gedächtnis zu rufen; es gelang ihm nicht. Die Erwartung des Sterbens erwies sich als stärker.
War seine Handlung wirklich sinnlos gewesen? Jede Logistikmaschine hätte ohne Zögern mit Ja geantwortet, aber er war keine Maschine. Er war ein Mensch, hatte Gefühle, Emotionen, Bewußtsein…
Was war es, das ihn zurückgehalten hatte? Der gelähmte Merner, der von ihm Hilfe in seiner größten Not erwartet hatte? Gansu blickte ihn an. Merner lag ruhig auf dem Rücken, die Augen geschlossen.
Der Tod ist der Schlußpunkt am Ende eines Lebens. Er ist schrecklich und grausam und unabänderlich. Jeder muß selbst damit fertig werden. Aber Eleven ist nicht allein, dachte Gansu. Ich habe ihn wenigstens hier nicht allein gelassen. Vielleicht fallen ihm die letzten
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