Nur die Liebe heilt
frischte auf und spielte mit ein paar blonden Strähnen, die sich aus der Spange gelöst hatten, mit der sie ihre üppigen Locken bändigte. Es erschreckte ihn selbst, wie sehr er sich danach sehnte, die Finger in ihrem Haar zu vergraben. Und herauszufinden, ob es so weich war, wie es aussah.
„Sie halten mich wahrscheinlich für verrückt, weil ich mir so viele Sorgen um Taryn mache.“
„Ich glaube einfach, dass Sie ein guter Vater sind, der auf sein Kind aufpasst. Daran ist nichts Falsches.“
„Wer weiß? Am Ende tut es ihr sogar gut, an vertraute Orte zurückzukehren. Vielleicht motiviert es sie. Idiotische Fernsehsendungen jedenfalls scheinen nicht zu helfen.“
Sie lachte auf, dunkel und sexy, und ein Schauer fuhr ihm über den Rücken. Er musste sich wirklich langsam in den Griff bekommen. Jedes Mal, wenn sie in seiner Nähe war, fühlte er sich magnetisch zu ihr hingezogen. Anfangs hatte er ja vermutet, seine Gefühle seien vollkommen einseitig. Doch inzwischen begann er, daran zu zweifeln.
Wann immer er in den letzten Tagen unangekündigt Taryns Zimmer betreten hatte, war Evie ein klein wenig rot geworden. Fast war er sicher, dass sie dieses Knistern zwischen ihnen ebenfalls bemerkte.
Aber er durfte nicht vergessen, dass sie nur hier war, weil seine Mutter sie erpresst hatte. Sie würde die erstbeste Chance am Schopfe packen und wieder in diesen Perlenladen zurückkehren. Und danach würden sie sich wie früher wegen irgendwelcher städtebaulicher Themen ständig in den Haaren liegen.
„Dann ist es wohl in Ordnung“, sagte er schließlich, weil es hier um Taryn ging und nicht um sein eigenes, schon so lange brachliegendes Liebesleben. „Nehmen Sie den Kleinbus, wenn Sie morgen in die Stadt fahren. Ich kann Ihnen nach dem Bewerbungsgespräch schnell zeigen, wie die Rampe funktioniert.“
Die feinen Haarsträhnen begannen jetzt, über ihr Gesicht zu tanzen. Sie blickte ins Tal hinab und sah auf einmal sehr verwundbar aus. „Vor ein paar Jahren habe ich ein krankes Mädchen adoptiert“, sagte sie.
Fassungslos starrte er sie an. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich jemand freiwillig all die Sorgen und Nöte auflud, die er in den letzten Monaten durchgemacht hatte. „Im Ernst?“
Evie seufzte. „Ist eine lange Geschichte. Sie war eine Patientin von mir. Ihre Mutter und ich wurden Freundinnen. Als Meredith, Cassies Mutter, unheilbar an Krebs erkrankte, gab es niemanden, an den sie sich wenden konnte. Sie hatte keine Eltern mehr, und Cassies Vater war schon lange über alle Berge. Daher hat sie mich gefragt, ob ich mich um Cassie kümmern würde. Ich hatte schon ein paar Jahre mit ihr gearbeitet, und sie war mir sehr wichtig geworden. Schließlich konnte ich nicht zulassen, dass sie in ein Heim kommt, und deswegen habe ich Ja gesagt.“
Mit Sicherheit war die ganze Sache nicht so einfach gewesen, wie sie es mit dieser nüchternen Stimme darstellte. Welche Opfer sie wohl hatte bringen müssen, um für das Kind einer anderen Frau zu sorgen?
„Cassie saß im Rollstuhl, so wie Taryn, und wir hatten auch einen Kleinbus mit Rampe. Deswegen weiß ich, wie die funktioniert. Und wenn nicht, finde ich es schnell heraus.“
Alles Mögliche hätte er Evie Blanchard zugetraut, mit ihren Hippie-Klamotten undihren politischen Ansichten konnte er sie sich gut in einem Waisenhaus in Lateinamerika vorstellen, oder wie sie in einem abgelegenen afrikanischen Dorf Lebensmittel auslieferte. Wie sie dem Friedenskorps beitrat und in einer Schule in Neuguinea unterrichtete. Warum also war er so verwundert darüber, dass sie ein behindertes Kind adoptiert hatte?
„Was ist aus ihr geworden?“ Die Frage musste er einfach stellen, obwohl er fast sicher war, dass er die Antwort nicht hören wollte.
Sie blickte auf die Lichter der Stadt. „Cassie ist vor zwei Jahren gestorben. Kurz bevor ich nach Hope’s Crossing kam.“
Er hatte es gewusst. Hatte die schreckliche Wahrheit in den Schatten ihrer Augen gesehen.
„Es tut mir leid.“ Die Worte schienen ihm unzureichend. Kurz nach Taryns Unfall hatten die Ärzte ihm zu verstehen gegeben, dass er mit dem Schlimmsten rechnen müsse. Und in den langen Wochen des Komas hatte er alle möglichen Gefühle durchlebt, Angst und Schuld und Trauer und Schmerz.
Doch dann war ein Wunder geschehen. Taryn war von allein aus dem Koma erwacht und begann nun, Schritt für Schritt wieder sie selbst zu werden.
„Es tut mir so leid“, wiederholte er.
„Ich
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