Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
Schreibtisch. »Das ist ein Geschenk«, stellte sie fest. »Ich hab ihn da, wo ich zuletzt war, unter dem Haus gefunden und aufbewahrt, weil er so hübsch war.«
Sie legte ihren schlanken Finger auf den Stein und schob ihn in seine Richtung. »Er ist für dich.«
»Bist du sicher?«, fragte T. J.
»Ich bin sicher«, sagte sie. »Ich hab’ zwei davon.« Sie öffnete ihre Hand und zeigte ihm einen zweiten silbergrauen Stein.
»Ich hab’ beide in meine Tasche gesteckt, als ich gekommen bin, um dich zu fragen, damit ich dir einen geben konnte, falls du bist wie ich und damit wir …« Sie zögerte. »Damit wir …« Sie biss sich auf die Lippe, senkte die Lider und schaute ihn dann an - plötzlich befangen und ein wenig unsicher. »Ich hab ihn mitgebracht, damit wir teilen können.«
»Und das Teilen macht uns irgendwie zusammengehörig, hm?«, fragte T. J. Cassie schaute weg, verlagerte ihr Gewicht von einem ihrer rosa bestrumpften Füße auf den anderen und sagte nichts. T. J. begriff, dass ihr die Bedeutung des Wortes »zusammengehörig« nicht ganz klar war. »Das Teilen macht uns zum Team«, fügte er hinzu.
»Wäre das für dich in Ordnung?« Sie wirkte, als wäre sie schon beinahe bereit, den Rückwärtsgang einzulegen und das Zimmer zu verlassen. »Ich heiße Cassie Jackson.« Sie sagte es, als handele es sich um etwas, das T. J. wissen sollte, ehe er seine Entscheidung traf.
Er nahm den Stein und hielt ihn fest. Er fühlte sich warm und irgendwie herzförmig an. »Ich glaube, es wäre klasse, wenn wir ein Team wären«, sagte er.
Von dem Tag an hatte Cassie T. J. die nächsten sechs Monate jeden Tag ein Geschenk mitgebracht. Puppen aus Eisstielen. Blumensträuße, die sie in Suzys Garten gepflückt hatte. Federn von Hüttensängern. Zweige, die zerbrechlich, grazil und elegant aussahen.An den Nachmittagen, wenn er seine Hausaufgaben machte, hockte sie auf einem Stuhl neben seinem Schreibtisch und las Märchen oder Abenteuergeschichten. Und abends saß sie neben T. J. am Esstisch; sie flüsterte ihm ihre Träume zu und ihre Gedichte, und dass ihre Momma tot und ihre Grandma im Gefängnis war, und dass sie, Cassie, einen Tages ein Pony besitzen und, wenn es so weit wäre, damit zur Schule reiten würde.
Cassie folgte T. J. wie ein ängstliches, besessenes Anhängsel. Und das war möglich, weil die tiefe Schwärze ihrer Haut einen sofortigen dämpfenden Effekt auf Suzys Interesse an ihr bewirkte hatte.
T. J. wusste, dass, wenn er Cassie nicht gestattet hätte, ihn als ihren Freund in Beschlag zu nehmen, ihr Aufenthalt im Haus der Zelinskis deutlich trostloser verlaufen wäre.
Am frühen Abend von T. J.s letztem Tag im Haus, dem Tag, an dem er seinen Highschool-Abschluss gemacht hatte, kam Cassie in sein Zimmer, während er packte. Ein schwarzer Seesack, den ihm die Zelinskis zum Schulabschluss geschenkt hatten, lag offen auf seinem Bett. Cassie durchquerte schweigend das Zimmer und steckte traurig ein Blatt rosa Papier in eine der Seitentaschen des Seesacks. Das Papier war zusammengerollt und mit einem Schnürsenkel umwickelt. »Es ist ein Gedicht«, erklärte sie. »Zu deinem Abschluss.«
Dann stellte sie sich aufs Bett, schaute ihm in die Augen und sagte: »Du bist der beste Freund, den ich in meinem ganzen Leben hatte,T. J.«
Als sie vom Bett heruntergestiegen war, fügte sie hinzu: »Die Sozialarbeiterin sagt, dass meine Grandma aus dem Gefängnis kommt und mich hier abholt.« Kurz zeigte sie ihr strahlendes Ostersonntags-Sonnenaufgangs-Lächeln. »Ich werde echt sein. In einer Woche schon.«
T. J. verstand, was sie ihm damit sagen wollte - es hatte zu viele Aufbrüche, zu viele Veränderungen, zu viele Verluste gegeben. Ihr Vorrat an Abschiedsworten war aufgebraucht.
Nachdem Cassie gegangen war, nahm T. J. seinen Seesack und verließ das Haus der Zelinskis. Er hatte sich bereits zuvor von Stan und Suzy verabschiedet. Jetzt hatte er es eilig.
Er musste zum Busbahnhof, von dem in einer halben Stunde ein Greyhound abfahren würde, um ihn aus Middletown fort zu seinem Sommerjob und dann zum College zu befördern. Um ihn nach Boston zu bringen, den Ort, an dem er neu geboren werden könnte.
Als der Bus losgefahren war - kurz nachdem T. J. sich in seinen Sitz hatte sinken lassen und einen tiefen Atemzug tat, der sich berauschend, wohltuend und frei anfühlte -, setzte T. J. sich kerzengerade auf. Das Wort »Nein!« entfuhr ihm mit einer solchen Bestimmtheit, dass der Busfahrer in den Rückspiegel
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