Obsession
den paar Metern bis zum Haus völlig. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie die Tür
hinter sich zugeknallt hätte, aber sie hatte sie offen gelassen.
Er ging hinein und wischte sich das Wasser vom Gesicht. In der Diele war es dunkel und kühl. Ein saurer Geruch stand in der
Luft, den er nicht einordnen konnte. Irgendwo im Haus konnte er Sandra hantieren hören und folgte den Geräuschen.
Der Flur führte am Wohnzimmer vorbei. Die Tür war angelehnt. Er blieb stehen und spähte durch den Schlitz. Auf Sofa und Sesseln
waren Kleidungsstücke und auf dem Boden Spielzeuge und Magazine verstreut. Ein T-Shirt von Jacob hing über einer Stuhllehne. Er konnte sich daran erinnern, wie Sarah es gekauft hatte. Er wandte sich ab, ging
an einem Autolenkrad vorbei, das an der Wand lehnte, und betrat die Küche.
Die Küche wirkte gleichzeitig vertraut und fremd, als hätte er sie schon einmal in einem Traum besucht. Er war |315| daran gewöhnt, sie von außen zu sehen, eingerahmt zuerst durch das Fenster und dann durch den Sucher, in dem sie so zweidimensional
erschien wie ein Bild auf dem Fernsehschirm. Die Realität war sowohl lebendiger als auch irgendwie unwirklicher. Er konnte
nicht ganz glauben, dort zu sein.
Ich bin im Inneren des Spiegels.
Er schaute durch das Fenster, aber der Berghang war hinter Regen und Nebel versteckt und kaum zu erkennen.
Im Vordergrund hob sich der Trümmerhaufen dunkel ab.
Sandra hatte einen Heizstrahler angestellt und drehte sich zu ihm um. Sie lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und stemmte
die Fäuste in die Hüfte.
«Und?»
Jetzt, wo Ben dort war, wusste er nicht, wie er beginnen sollte. Er stellte seine Tasche auf den Boden.
«Ich will Jacob zurück.»
Sandra starrte ihn an, warf dann ihren Kopf zurück und lachte auf. «Ach, das ist alles?» Ihr Gesicht bekam einen verächtlichen
Zug, aber sie sah auch fast ein wenig erleichtert aus. «Wenn das alles war, was Sie sagen wollten, dann können Sie auch gleich
wieder nach London abhauen. Danke fürs Mitnehmen.»
Die heiße Luft aus dem Heizstrahler hatte den Raum noch nicht erwärmt, er hatte aber bereits das Gefühl, in seiner dicken
Jacke zu ersticken. «Wovor haben Sie Angst?»
«Ich habe vor gar nichts Angst. Ich möchte nur, dass Sie sich verpissen und uns in Ruhe lassen.»
«Ich soll Sie in Ruhe lassen?», sagte er ungläubig. «Die ganze Sache hat damit begonnen, dass Sie mir den Kontakt mit Jacob
verweigert haben.»
«Wenn Sie sich solche Sorgen um den kleinen Scheißer machen, hätten Sie ihn nicht weggeben sollen.»
|316| «Ich wusste doch noch nicht, was Cole für ein Typ ist.»
Sie ließ ihre Arme fallen und trat einen Schritt auf ihn zu. «Er ist kein Hund! Er hat auch einen Vornamen!»
Ben wich nicht zurück. «Sie wissen, dass sein Verhalten nicht richtig ist.»
«Ach ja?»
«Ich glaube schon. Und Sie wollen genauso wenig wie ich, dass Jacob hier ist.»
«Weshalb glauben Sie so genau zu wissen, was ich will?»
Weil ich dich beobachtet habe.
«Liege ich etwa falsch?»
Sie schaute weg. «Das ändert sowieso nichts. Was ich will, spielt keine Rolle», sagte sie, und ihre Verbitterung war in diesen
Worten fast greifbar. Abrupt drehte sie sich wieder zu ihm um. «Glauben Sie, es bringt irgendetwas, wenn Sie hierherkommen?
Glauben Sie wirklich, ich helfe Ihnen? Oder dass ich es überhaupt könnte?»
«Ich habe es gehofft.»
«Da haben Sie umsonst gehofft! Tut mir leid, Sie zu enttäuschen.» Sie ging zu ihrer Handtasche und zog eine Packung Zigaretten
hervor.
«Selbst wenn ich Jacob nicht zurückbekommen kann, möchte ich die Gewissheit haben, dass man sich angemessen um ihn kümmert»,
sagte Ben. «Er braucht speziellen Unterricht, er muss Kontakt mit anderen Kindern haben. Das alles bekommt er hier nicht.»
Sandra entzündete ein Streichholz und hielt es an die Zigarette, die sie sich zwischen die Lippen geklemmt hatte. «Das Leben
ist hart, was?»
«Was soll dieser Macho-Scheiß mit den Gewichten, die er im Garten über Jacobs Kopf stemmt? Was ist, wenn er sie fallen lässt?»
|317| Sie sah ihn durchdringend an, fragte aber nicht, woher er davon wusste. Die Furcht, die er schon zuvor meinte entdeckt zu
haben, flackerte für einen Moment wieder in ihren Augen auf. «John lässt sie nicht fallen.»
«So einfach ist das, ja? Ein Fehler, und Jacob ist tot, aber Sie tun einfach so, als könnte nichts passieren?»
Sie zuckte mit den Achseln.
«Haben Sie nichts daraus gelernt,
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