Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Öl auf Wasser - Roman

Öl auf Wasser - Roman

Titel: Öl auf Wasser - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
Vom Netzwerk:
orangefarbenes Feuer; stetig leuchtete es über dem Wasser am Rand des Dorfes. Es brannte Tag und Nacht, und die Dorfbewohner brauchten jetzt keine Kerzen oder Lampen mehr, sie mussten abends nur ihre Fenster und Türen aufsperren, und alles wurde hell erleuchtet. Einfach so. Schon bald ersetzte dieses Licht den Dorfplatz. Männer und Frauen standen abends da und schauten es stundenlang verwundert an, starrten unverwandt darauf, bis ihnen die Augen zu tränen anfingen und sie ganz benommen waren. Dorfversammlungen, die früher sonnabends am frühen Morgen in einem Klassenzimmer der Schule stattfanden, wurden jetzt auf den Abend und in den Schein des orangefarbenen Lichts verlegt: Die Ältesten mit ihren Umschlagtüchern und Gehstöcken stellten ihre Stühle im Halbkreis auf und schwangen ihre Reden. Ein Abendmarkt entwickelte sich zu Füßen dieses glimmenden Scheins, und die Frauen zogen jeden Abend mit ihren Waren dahin. Einige kamen sogar aus den Nachbardörfern, sie kauften und verkauften, sie stellten tragbare Eisenherde auf und brieten
Akara
und Fisch, die sie unter diesem Feuerschein an glückliche Kinder verkauften. Und als Brother Jonah, nachdem er drei Jahre fort gewesen war, aus der großen Stadt heimkehrte oder, wie er es ausdrückte, aus dem Bauch des Wals, versammelte sich seine Gemeinde jeden Sonntagabend unter eben diesem Schein. Sie tanzten, die Gesichter zu diesem nie erlöschenden Glast erhoben, sangen ihre Freude und Dankbarkeit, und ihre Stimmen schallten viele Meilen über das Wasser. Sie nannten es das Pfingstfeuer. Ich weiß nicht, was das genau bedeutet, aber es machte sie sehr glücklich. Sie sagten, das wäre ein Zeichen, die Erfüllung eines Pakts mit Gott.
    Naja, ich tat meine Pflicht als Arzt. Ich wies sie auf die Gefahren hin, die dieses unauslöschliche Flackern birgt, aber sie hörten nicht auf mich. Und als dann ein Jahr später ihr Vieh zu sterben begann und die Pflanzen auf dem Halm verdorrten, nahm ich Trinkwasserproben und ermittelte in meinem Labor den Giftgehalt: Er stieg beständig. Innerhalb eines Jahres war er auf das Zweifache der Belastungsgrenze gestiegen. Natürlich hörten die Leute wieder nicht auf mich, sie waren immer noch diesem orangefarbenen Glast hörig. Als ich mich bei den Ölarbeitern beschwerte, boten sie mir Geld und eine Arbeitsstelle an. Der Direktor, ein Italiener, schrieb mir einen Scheck aus und meinte, nun befände ich mich auf ihrer Gehaltsliste. Er befahl mir weiterzumachen, doch sollte ich meine Ergebnisse ab sofort nur noch ihm mitteilen. Ich glaubte, dass sie etwas mit meinen Untersuchungsergebnissen anfangen würden, aber das geschah nicht. Deshalb nahm ich Blutproben, als die Leute zu sterben begannen, und analysierte die Gifte darin, nur schickte ich meine Ergebnisse diesmal an die Regierung. Man bedankte sich bei mir und begrub die Ergebnisse in irgendwelchen Aktenschränken. Weitere Menschen starben, und daraufhin schickte ich meine Ergebnisse an
NRO
s und internationale Organisationen, die sie in internationalen Zeitschriften veröffentlichten und die Regierung drängten, etwas gegen die Abgasfackeln zu unternehmen, aber wieder geschah nichts. Noch mehr Menschen erkrankten, viele starben. Ich sah, wie der Nachtmarkt eingestellt wurde und die Ratsversammlungen aufhörten. Auch die Kirche ging ein, nachdem Brother Jonah Bote bei der Ölgesellschaft geworden war. Ich musste mit ansehen, wie das ganze Dorf gewissermaßen über Nacht verschwand, einfach so. Ich war ihr Arzt, ich hätte mehr tun müssen, als ich unternommen habe. Seitdem bin ich so eine Art Wanderarzt geworden. Ich ziehe von Dorf zu Dorf und versuche, ein Bewusstsein für die Gefahren zu wecken, die in den Ölquellen und der Luft darüber lauern. Und alle haben sie dieselbe Geschichte, dieselben Krankheiten. Ich tue, was ich nur kann.«
    Während er sprach, schaute ich auf seine Lippen, beobachtete, wie seine Zigarette herunter brannte und sich der Rauch in Kringeln über ihn erhob und der vergifteten Luft weitere Schadstoffe zuführte, aber eigentlich versuchte ich die ganze Zeit zu begreifen, was er über Zaq gesagt hatte.
    Er legte mir die Hand auf die Schulter.
    »Das mit Ihrem Freund tut mir leid. Ich werde mit dem Major sprechen. Ich will versuchen, ihn zu überreden, Sie beide ziehen zu lassen, will Ihnen aber raten, nicht auf schnelle Antwort zu hoffen. Bringen Sie Ihren Freund zu einem anderen Arzt. Holen Sie ein weiteres Gutachten ein, auch wenn ich fürchte, dass das

Weitere Kostenlose Bücher