Öl auf Wasser - Roman
die meisten Leute – ich auch – davon aus, dass er in die Regierung gehen würde. Aber er blieb auf Distanz. Er ging zur
Action!
, seiner früheren Zeitung, zurück und machte wieder seine kenntnisreichen Features im Wochenendstil. Aber nicht mehr mit derselben Überzeugung. Da hatte er schon schwer zu trinken angefangen. Seine Leitartikel äußerten sich zunehmend kritisch zur neuen Regierung, die an die Macht zu bringen er und seine Pro-Demokratie-Kumpel so schwer gearbeitet hatten, doch dann, im Jahr 2001, trat er in die Regierung ein. Er wurde Berater des Informationsministers, eines harten Burschen, der im Kabinett viele Feinde hatte.
Also, genau zu dieser Zeit trat Anita auf wundersame Weise wieder in sein Leben. Nur war sie nicht mehr das hilflose kleine Mädchen, über das er in seinem berühmten Artikel ›Fünf Frauen‹ geschrieben hatte. Sie war eine erwachsene Frau. Selbstsicher. Sie hatte die Universität besucht, sie hatte eine gute Stelle bei einer Bank in Lagos, aber ihre respektable Fassade hielt die Gossenpresse natürlich nicht davon ab, die beiden als ›Die Nutte und der Radikalinski‹ zu brandmarken. Es gab Bilder von den beiden bei schrillen Partys, Buchpremieren, Medienereignissen.«
Ich erinnerte mich. Das war 2004, in dem Jahr, in dem ich Zaq kennengelernt hatte, dem Jahr, in dem er an meiner Schule seinen Vortrag gehalten hatte, dem Jahr, in dem der Alkoholismus schließlich die Oberhand über ihn gewonnen hatte.
»Ein Hochzeitstermin wurde bekanntgegeben. Die Zeitungen berichteten später, dass er wider besseres Wissen nach London reiste. Anita wünschte sich ihre Aussteuer nur aus den besten Geschäften in der Oxford Street, und der Minister war so freundlich ihnen anzubieten, die Rechnung zu übernehmen. Als sein Hochzeitsgeschenk. Er nahm das Paar mit, als er zu einer Konferenz der Commonwealth-Minister reiste. Nur dass sie nicht durch den Zoll kamen. Unter Zaqs Rasierzeug in seiner Kulturtasche wurde Kokain gefunden. Im Prozess gab er an, dass er nicht wüsste, wie es dorthin gekommen war. Plötzlich stürzten sich die Zeitungen zuhause grausam auf ihn, und einige behaupteten sogar, dass er die Drogen für den Minister transportiert hätte. Andere, die sich die Zeit nahmen, Anitas Geschichte zu recherchieren, fanden heraus, dass sie während des Studiums mehrmals mit sehr reichen Männern liiert gewesen war, von denen einige mit der Drogenwelt in Verbindung gebracht wurden. Er sagte während des Prozesses nicht ein schlechtes Wort über sie und bat lediglich darum, dass der Minister nicht mit dieser Geschichte in Zusammenhang gebracht werden sollte. Aber der Minister wurde selbstverständlich entlassen, und Zaqs Karriere in Lagos war vorbei. Nach einem Jahr in einem Gefängnis in Großbritannien wurde er nach Nigeria abgeschoben, wo er nach nur einem Monat im Gefängnis auf freien Fuß gesetzt wurde. Und nach seiner Haft verschwand er aus Lagos.«
Ich erhob mich.
»Danke, Mr. Johnson, aber jetzt muss ich …«
»Okay, okay. Sie müssen wirklich los. Aber sagen Sie Zaq, dass er so schnell wie möglich wieder hier auftauchen soll. Richten Sie ihm aus, dass er meine Geduld nicht auf die Probe stellen soll, dass er es nicht drauf ankommen lassen soll, sonst … von morgen an keine Bezahlung mehr. Richten Sie ihm das aus.«
»Aber was, wenn …«
»Richten Sie es ihm einfach aus.«
12.
Zaq war über meiner Erzählung eingeschlafen, hielt aber die inzwischen zu drei Vierteln geleerte Whiskyflasche immer noch umklammert. Ich ging hinaus und stieg auf den Hügel, und mit einem Mal sah ich hinter den Wipfeln der kärglichen Bäume das Wasser. Der Wind blies mir vom Meer her ins Gesicht, frisch, feucht, und von einem Augenblick auf den nächsten spürte ich, wie mich unermessliche Erregung erfüllte. Ich fühlte mich frei. Den Rücken an einen Baum gelehnt, schaute ich über das Wasser, und als ich es müde war, schlug ich mein Buch auf. Doch als ich den Kopf zum Lesen beugte, fiel mir in der Ferne eine weiße Gestalt auf, viele weiß gekleidete Gestalten, eine Prozession, die auf dem Pfad, der unten am Fuße des Hügels verlief und um ihn herum zum Meer führte, aus dem Baumstreifen ins Freie trat. Jede Gestalt hielt einen Stab in der Hand, und in der Mitte trugen zwei Männer etwas auf einer Bahre, das wie ein in ein weißes Tuch gehüllter Körper aussah. Ich glaubte, dass ich Zeuge einer Meeresbestattung werden sollte, und überlegte schon, zur Hütte zurückzueilen, um meinen
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