Oelspur
die Aufmerksamkeit von Leuten, denen das irgendwie nicht passt.«
»Also, ich weiß nicht«, sagte Anna. »Wieso sollten die so auf sie gekommen sein? Nachforschungen und Interviews waren für Helen Alltagsroutine. Das war, was sie immer gemacht hat. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass jemand herausgefunden hat, dass Jaeggi sich an sie wandte? Nur, was ich überhaupt nicht verstehe, ist, was die angehängte Datei mit dem Institut für Meeresbiologie zu tun hat.«
»Helen hat jedenfalls einen Zusammenhang hergestellt. Vielleicht hat wirklich jemand die Spur von Jaeggi zu ihr verfolgt. Und hat die Beobachtung in Hamburg fortgesetzt, ist ihr vielleicht sogar nach Warnemünde nachgefahren. Wie auch immer, Helen muss sie bemerkt haben. Sie haben ihr eine Scheißangst gemacht, aber sie hatte nicht die Absicht, die Finger von der Sache zu lassen.«
»Wie kommst du darauf?«
»Die Pistole. Die hat sie sich besorgt, weil sie sich bedroht fühlte und nicht zur Polizei gehen wollte oder konnte.«
»Und weil sie nicht klein beigeben konnte«, fügte Anna bitter hinzu, »das konnte sie nie!«
»Ja, du bist da ganz anders. Wenn dir einer sagt: Schätzchen, lass das, dann lässt du es!«
»Aber klar!« Sie grinste breit und hatte einen Gesichtsausdruck aufgesetzt, den sie offenbar für sanftmütig hielt.
»War das jetzt alles?«, fragte ich und deutete auf die Tasche. Anna beugte sich hinunter und nahm sich die Tasche noch einmal vor. Aus einem diskreten, flachen Futteral an der Innenseite holte sie schließlich Helens Pass und, darin eingelegt, einen länglichen Umschlag hervor. Sie öffnete ihn und pfiff leise vor sich hin.
»Ein Stadtplan von, Moment … Ventspils«, sagte sie, »und ein Flugticket. Und jetzt rat mal, wohin!«
Ich grunzte ungeduldig, und sie schob das Ticket über den Tisch zu mir rüber. Es war ein Hin- und Rückflug von Hamburg nach Riga.
»Ist das in Litauen?«, fragte Anna
»Lettland. Was weißt du über Lettland?«
»So viel wie über Litauen und Estland. Gar nichts!«
»Der eine Name auf der Liste, Krisjanis Udris, könnte ein lettischer Name sein.«
»Okay, du meinst, Helen wollte nach Lettland fliegen, um mit diesem Udris zu sprechen?«
»Oder um etwas über ihn herauszufinden.«
Anna schwieg eine Weile und massierte mit den Fingerspitzen ihre Schläfen. Sie sah blass und mutlos aus.
»Was ist mit deinem teuren Haarschnitt und den Piercings passiert?«, fragte ich.
»Ich wollte ein bisschen unauffälliger aussehen bei dem, was wir vorhaben.«
»Was genau haben wir denn vor?«
»Ich will wissen, was mit Helen passiert ist. Ich werde sie nicht einfach begraben und nach Hause fahren.«
»Ich muss mit den Bullen sprechen wegen der Sache im Bahnhof, und ich habe keine Ahnung, was die mit mir anstellen. Gefährliche Körperverletzung ist keine Kleinigkeit. Und die Notwehr muss ich erst noch beweisen.«
»Keine Vorstrafen, fester Wohnsitz und keine Verdunklungsgefahr. Gibt keine U-Haft!«, sagte Anna fachmännisch.
Aber es war nicht notwendig, zur Polizei zu gehen. Zehn Minuten später stand Geldorf vor der Tür.
Vierzehn
A
ls wir Helens melodischen Türsummer hörten, brauchten wir keine zehn Sekunden, um die Sachen wieder in der Reisetasche zu verstauen. Anna brachte sie ins Schlafzimmer, hievte sie auf einen von Helens Kleiderschränken und schlenderte ohne Eile zur Haustür. Als sie mit Geldorf zurückkam, war ich nicht wirklich überrascht. Angesichts dessen, was ich angestellt hatte, war er spät dran.
Geldorf schob seinen massigen Körper ins Wohnzimmer, blickte sich um und stieß ein anerkennendes Brummen aus.
»Schön hier«, sagte er, »wirklich schön!«
Dann zog er seinen Mantel aus, warf ihn achtlos auf den Esstisch und ließ sich schwerfällig in einen von Helens Designersesseln fallen.
»Setzen Sie sich doch ruhig einen Augenblick!«, sagte Anna, aber Geldorf war nicht in Stimmung für einen kleinen Zank. Er starrte sie wortlos an und deutete dann mit ausgestrecktem Zeigefinger auf das Sofa. Anna setzte sich neben mich und starrte zurück.
»Ich war jetzt eine Stunde im Schlachthaus«, sagte Geldorf nach einer Weile, »in einem nach Pisse und Blut stinkenden Schlachthaus, also kommen Sie mir bloß nicht blöd. Haben Sie eine Vorstellung, wie das aussieht, wenn man jemandem in einer Klozelle den Kopf wegschießt?«
Ich sagte nichts, rührte mich nicht und verstand überhaupt nichts mehr.
»Eine Leiche auf dem Bahnhofsklo. Erschossen mit einer großkalibrigen
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