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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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schmerzhaft ins Kreuz. Im Haus regte sich nichts, aber
wenn sie den Atem anhielt und die Ohren spitzte, würde sie
sicher das unterschwellige Grollen der Ausschachtungsarbeiten
hören. Der Lärm der Bohrer, Bagger und Schaufellader drang
kilometerweit durch die kurvenreichen Tunnel. Hin und wieder gab es
einen lauten Knall oder ein Trommelfeuer von Hammerschlägen. All
das war Rachmika so vertraut, dass sie dabei ruhig schlafen konnte;
sie wäre eher aufgeschreckt worden, wenn die Arbeiten
plötzlich aufgehört hätten. Im Augenblick wäre
ihr etwas mehr Lärm als Tarnung für die unvermeidlichen
Geräusche beim Verlassen des Hauses sogar durchaus willkommen
gewesen.
    Der letzte Raum hatte zwei Türen. Die eine führte hinaus
in das weitläufige Tunnelnetz und auf eine
Durchgangsstraße, die diese Wohnung mit vielen anderen
Privathäusern und Gemeinschaftsgebäuden verband. Die zweite
befand sich in der Decke und war von Handgriffen umgeben. Sie war im
Moment nach oben geklappt, und dahinter war alles dunkel. Rachmika
öffnete einen Spind in der sanft gerundeten Wand und holte
vorsichtig ihren Druckanzug heraus, ohne mit Helm und
Lebenserhaltungsgerät an die drei anderen Anzüge zu
stoßen, die an der drehbaren Stange hingen. Da sie den Anzug
auch bei den dreimal jährlich stattfindenden
Katastrophenübungen anziehen musste, kam sie mit den
Verschlüssen und Dichtungen gut zurecht. Dennoch dauerte die
Prozedur zehn Minuten, und in dieser Zeit hielt sie jedes Mal inne
und wagte nicht zu atmen, wenn sich irgendwo im Haus ein Ventilator
einschaltete oder sich mit leisem Ächzen ein Tunnel setzte.
    Endlich war sie so weit. Die Anzeigen am Ärmel standen alle
im grünen Bereich. Der Lufttank war nicht ganz voll – er
war wohl etwas undicht, denn normalerweise wurden die Tanks immer bis
zum Rand gefüllt –, aber für das, was sie vorhatte,
würde die Luft leicht reichen.
    Als sie das Helmvisier schloss, hörte sie nur noch ihre
eigenen Atemzüge; sie konnte nicht mehr feststellen, wie viel
Lärm sie machte oder ob sich im Haus sonst etwas regte. Und
dabei stand die geräuschvollste Phase ihrer Flucht erst noch
bevor. Sie musste eben möglichst behutsam und möglichst
flink sein, sodass ihre Eltern, selbst wenn sie aufwachen sollten,
sie nicht mehr einholen konnten, bevor sie den vereinbarten
Treffpunkt erreichte.
    Der Anzug verdoppelte ihr Gewicht, dennoch fiel es ihr nicht
weiter schwer, sich durch die Tür in der Decke zu ziehen. Der
dunkle Raum dahinter war die Luftschleuse, durch die man auf die
Oberfläche gelangte. Eine solche Schleuse gab es in jedem Haus,
wenn auch in unterschiedlicher Größe. Rachmikas Schleuse
konnte zwei Erwachsene gleichzeitig fassen. Dennoch musste sie sich
bücken und den Kopf einziehen, um die innere Tür nach unten
klappen und mit dem Handrad fest verschließen zu
können.
    Damit war sie zunächst in Sicherheit. Sobald sie die
Luftpumpen in Gang setzte, konnten ihre Eltern die Schleuse nicht
mehr betreten. Der Austausch dauerte zwei Minuten. Bis die untere
Tür wieder geöffnet werden konnte, wäre sie schon
durch das halbe Dorf gelaufen. Wenn sie erst draußen war,
würden sich ihre Spuren rasch zwischen den vielen Abdrücken
verlieren, die andere Dorfbewohner bei ihren Erledigungen
hinterlassen hatten.
    Bevor Rachmika die Pumpen einschaltete, vergewisserte sie sich,
dass immer noch alle Anzeigen ihres Druckanzugs auf Grün
standen. Sie konnte nicht hören, wie die Luft aus der
Schleusenkammer gesaugt wurde, aber die Faltenbälge an den
Gelenken zogen sich auseinander, und es wurde etwas mühsamer,
Arme und Beine zu bewegen. Eine Anzeige am Rand des Helmvisiers
meldete, dass sie sich im Vakuum befand.
    Niemand hatte von unten gegen die Tür gehämmert.
Rachmika hatte leise Befürchtungen gehegt, mit dem Betreten der
Schleuse einen Alarm auszulösen. Sie hatte zwar noch nie von
einer solchen Einrichtung gehört, aber vielleicht hatten die
Eltern sie ihr ja vorsichtshalber verschwiegen, um zu verhindern,
dass sie sich durch die Schleuse davonstahl. Aber ihre Ängste
waren unbegründet gewesen: Es gab keinen Alarm, keine
Pannensicherung, keinen Geheimcode, ohne den sich die Tür nicht
öffnen ließ. Sie hatte das alles in ihrer Fantasie so oft
durchgespielt, dass sie nun das Gefühl hatte, es schon einmal
erlebt zu haben.
    Als die Luft vollständig abgepumpt war, schaltete ein Relais
um und entriegelte die Außentür. Rachmika stemmte sich
dagegen, doch zunächst geschah nichts. Dann hob

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