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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Hela-Kultur
ausschließen, müssen Sie einen anderen Schuldigen finden.
Vom philosophischen Standpunkt aus sehen wir das hier nicht
gerne.«
    »Es mag keine elegante Lösung sein«, räumte
sie ein, »aber wenn die Wahrheit einen zweiten – oder gar
einen dritten -Urheber verlangt, dann sollten wir auch den Mut haben,
die Beweise zu akzeptieren.«
    »Und Sie haben sicherlich auch eine Vorstellung, wer dieser
andere Schuldige sein könnte?«
    Ihr Blick streifte unwillkürlich den verschweißten
Raumanzug. Sie hatte nicht vorgehabt, sich ablenken zu lassen, und
der Dekan hatte wahrscheinlich nichts bemerkt, aber sie ärgerte
sich trotzdem. Warum konnte sie ihre eigenen Reaktionen nicht so gut
beherrschen, wie sie die von anderen zu lesen verstand?
    »Nein«, sagte sie. »Aber ich habe einen
Verdacht.«
    Der Stuhl des Dekans veränderte seine Stellung, und eine
Welle von entsprechenden Bewegungen durchlief die Spiegel. »Als
Grelier mir zum ersten Mal von Ihnen erzählte – weil er den
Eindruck hatte, Sie könnten mir nützlich sein –, sagte
er etwas von einem persönlichen Kreuzzug.«
    »Tatsächlich?«
    »Grelier hatte den Eindruck, es ginge dabei um Ihren Bruder.
Ist das wahr?«
    »Mein Bruder fand Arbeit bei den Kathedralen«, sagte
sie.
    »Und Sie wurden unruhig, weil Sie länger nicht von ihm
gehört hatten, bekamen Angst um ihn, und beschlossen, ihm zu
folgen. Das war doch die Geschichte?«
    Er gab dem Wort ›Geschichte‹ eine Betonung, die ihr
nicht gefiel. »Wieso sollte es nicht wahr sein?«
    »Weil ich mich frage, wie weit es Ihnen tatsächlich um
Ihren Bruder geht. War er wirklich der Grund für Ihre weite
Reise, Rachmika, oder lieferte er nur den Vorwand und verhinderte den
Eindruck, dass Sie eigentlich aus intellektueller Eitelkeit hierher
kamen?«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    »Ich glaube, Sie haben Ihren Bruder schon vor Jahren
aufgegeben«, sagte der Dekan. »Im Herzen wussten sie, dass
Sie ihn nicht wiedersehen würden. Tatsächlich ging es Ihnen
um die Flitzer und Ihre Theorien dazu.«
    »Das ist doch lächerlich.«
    »Dieses Bündel Briefe sagt etwas anderes. Es spricht von
einer tief verwurzelten Zwangsvorstellung, die ganz und gar nicht zu
einem Kind passt.«
    »Ich bin Harbins wegen hier.«
    Er sprach mit der ruhigen Eindringlichkeit eines Lateinlehrers,
der auf eine grammatikalische Feinheit im Zeitengebrauch hinweist.
»Sie sind meinetwegen hier, Rachmika. Sie sind mit der
Absicht zum Weg gekommen, bis zur Spitze der
Kathedralenregierung vorzudringen, weil Sie überzeugt waren, nur
ich hätte die Antworten, die Sie suchten, nach denen Sie gierten
wie eine Süchtige.«
    »Ich habe mich nicht aufgedrängt«, sagte sie mit
nicht geringerem Nachdruck. »Sie haben mich von der Eiserne
Katharina holen lassen.«
    »Sie hätten früher oder später auch selbst
hierher gefunden. Sie sind wie ein Maulwurf, der sich an die
Oberfläche gräbt. Sie hätten sich in einer der
Forschungsgruppen nützlich gemacht und von dort Verbindungen zu
mir geknüpft. Es hätte Monate oder auch Jahre dauern
können. Grelier – sein schmutziges Herzchen sei gepriesen
– hat den Gang der Dinge nur etwas beschleunigt.«
    »Sie irren sich«, sagte sie. Ihre Hände zitterten.
»Ich wollte nicht zu Ihnen. Ich wollte nicht hierher. Warum
sollte mir das so viel bedeuten?«
    »Weil Sie sich in den Kopf gesetzt haben, ich hätte
gewisse Erkenntnisse«, sagte der Dekan. »Dinge, die etwas
verändern könnten.«
    Sie tastete nach dem Kästchen. »Das nehme ich mit«,
sagte sie. »Es gehört schließlich mir.«
    »Die Briefe gehören Ihnen. Aber Sie dürfen
auch das Kästchen behalten.«
    »Ist es jetzt vorbei?«
    Er schien überrascht. »Vorbei, Miss Els?«
    »Der Vertrag. Meine Anstellung.«
    »Ich wüsste nicht, warum«, sagte er. »Ihren
eigenen Worten zufolge waren Sie nicht verpflichtet, Ihr Interesse an
den Flitzern zu erwähnen. Sie haben weder ein Verbrechen
begangen noch mein Vertrauen missbraucht.«
    Ihre schweißnassen Hände hinterließen Spuren auf
dem Kästchen. Sie hatte nicht erwartet, dass er ihr gestatten
würde, die verschollenen Briefe zu behalten: diese kindlich
ernsthaften Botschaften ihres früheren Ichs. »Ich dachte,
Sie wären verärgert«, sagte sie.
    »Sie sind mir immer noch nützlich. Ich erwarte in
Kürze weitere Ultras und wüsste gern, was Sie von ihnen
halten. Ihre ganz persönlichen Eindrücke und Beobachtungen
sind sehr wertvoll für mich, Miss Els. Ich würde gern
weiter davon

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