Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
doch vielschichtiger. Schwedischsein hing für ihn nicht von einfachen Merkmalen wie blonden Haaren und blauen Augen ab. Es ging um Zugehörigkeit. In Håkans Augen war ich keine richtige Schwedin, weil ich mein Land verlassen und mich unter den Schutz und Schirm eines Engländers begeben hatte. Mia jedoch gehörte hierher, weil Håkan sie ausgewählt hatte. Besitz bedeutete diesem Mann alles. Selbst an diesem ersten Tag sagte mein Instinkt mir, dass sie in höchster Gefahr war.
B EI EINER JUNGEN FRAU , die an einem Sommertag in einem Fluss schwamm, dachte ich nicht als Erstes an Gefahr. Ich fragte:
»Wieso sollte dem Mädchen Gefahr drohen?«
Meine Mum reagierte ungehalten.
Du hast wohl nicht richtig zugehört. Ich habe doch erzählt, wie gierig alle Mia angestarrt haben. Vielleicht hast du dir das nie klargemacht, aber es ist gefährlich, begehrt zu werden, der Gedanke zu sein, der einen anderen Menschen ablenkt, die fixe Idee, die ihn erregt. Es gibt nichts Gefährlicheres. Glaubst du das nicht? Dann erzähle ich dir, was Mia weiter gemacht hat. Sie stieg aus dem Fluss, ohne irgendwem in die Augen zu sehen, obwohl sie beobachtet wurde. Das war kein normales Verhalten. Sie zog sich an, ohne sich abzutrocknen, und ging mit nassen Flecken auf der Kleidung wieder durch die Menge – mit hocherhobenem Kopf, ohne das Essen oder die Getränke anzurühren und ohne ein Wort zu sagen, ging sie zurück zum Haus. Mir kann niemand erzählen, das hätte nichts zu bedeuten. Warum ich mir so sicher bin? Ich habe sie eine Woche später wiedergesehen, als ich gerade im Gemüsebeet gearbeitet habe. Keine Ahnung, wo Chris an diesem Tag war. Er hat sich nur sporadisch um den Hof gekümmert. Manchmal hat er von früh bis spät gearbeitet, an anderen Tagen ist er stundenlang verschwunden. Jedenfalls war er nicht bei mir, als ich etwas hörte, aufsah und Mia entdeckte, die auf dem Fahrrad die Straße herunterkam. Ihre Bewegungen wirkten fahrig, fast schon unkontrolliert, und sie trampelte beängstigend schnell, als würde sie gejagt. Als sie am Tor vorbeikam, konnte ich ihr Gesicht sehen. Sie hatte geweint. Ich ließ mein Werkzeug fallen und lief zur Straße, weil ich Angst hatte, sie würde stürzen. Nur mit viel Glück hielt sie sich auf dem Fahrrad, bog scharf links ab und verschwand.
Ich konnte schlecht weiterarbeiten, als wäre nichts passiert, also ließ ich das Gemüsebeet Gemüsebeet sein, holte schnell mein Fahrrad und fuhr hinterher. Ich dachte mir schon, dass sie den einsamen Radweg am Elchfluss entlang nach Falkenberg nehmen würde, einer hübschen Küstenstadt. Es wäre einfacher, wenn du uns mal besucht hättest, jetzt ist nämlich nicht der richtige Moment, um den Ort zu beschreiben. Es geht um Mias Gemütszustand und darum, dass wirklich Gefahr drohte, nicht um urige, hellgelb gestrichene Holzhäuser und alte Steinbrücken. Zur Beschreibung muss genügen, dass der Fluss sich verbreitert, bevor er ins Meer strömt, und dass am Ufer schicke Hotels, Restaurants und Geschäfte liegen. Dort stieg Mia vom Rad und ging gedankenverloren durch den tadellos gepflegten Park. Ich folgte ihr auf die große Einkaufspromenade und sorgte dafür, dass wir uns wie zufällig über den Weg liefen. Mit meinem plötzlichen Auftauchen und noch dazu dem Dreck aus dem Gemüsebeet an der Kleidung machte ich sicher keinen guten Eindruck. Ich dachte, Mia würde nicht mehr als ein höfliches Hallo für mich übrig haben. Aber egal: Ich würde mich vergewissern, dass es ihr gut ging, und wieder nach Hause fahren. Ich weiß noch, dass sie knallrosa Flipflops trug. Sie sah so fröhlich und hübsch aus, man konnte kaum glauben, dass sie gerade geweint hatte. Sie blieb stehen. Sie wusste, wie ich hieß und dass ich aus London kam. Håkan hatte wohl von mir erzählt. Manche Kinder übernehmen immer den Standpunkt ihrer Eltern. Aber Mia nicht, sie war überhaupt nicht feindselig. Das machte mir Mut, und ich lud sie ins Café Ritz an der Promenade ein. Trotz des Namens hatte es vernünftige Preise und vor allem einen ruhigen Gastraum nach hinten raus, wo wir uns unterhalten konnten. Zu meiner Überraschung willigte sie ein.
Das Café war mit Selbstbedienung, und ich suchte ein Stück Prinzessinnentorte aus, mit einer dicken Schicht Sahne unter einer dünnen grünen Marzipandecke. Ich nahm zwei Gabeln, damit wir teilen konnten, ein Kännchen Kaffee und für Mia eine Cola light. An der Kasse merkte ich, dass ich kein Geld dabeihatte, weil ich den Hof so
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