Olympos
berühmten Schenkel und Pobacken waren nur noch ein Stützwerk aus schwarzem Eisen, das die über der Stadt knisternden Blitze a n zog.
Tatsächlich halfen die Blitze Daeman, die drei langgestreckten Wohnblocks zwischen dem Invalidenhotel-Faxknoten und Mar i nas Domi-Turm hinter sich zu bringen. Er hatte die Kapuze seines Anoraks übergezogen, um sich zumindest der Illusion hingeben zu können, im strömenden Regen trocken zu bleiben, und er wa r tete an jeder Kreuzung mit erhobener Armbrust und sprintete erst dann über die freien Flächen, wenn die Blitze en t hüllten, dass die Schatten in Eingängen und unter Torbögen voynixfrei waren. Im Pavillon hatte er Proxnet und Farnet ausprobiert, aber beide fun k tionierten nicht. Das war gut für ihn, weil die Voynixe heutzutage beide Funktionen nutzten, um Menschen ausfindig zu machen. Die Suchfunktion brauchte er nicht einzuschalten – dies war schließlich sein Zuhause, obwohl der wieselartige Goman seinen Platz an der Seite seiner Mutter eingenommen hatte.
In einigen der von den Blitzen erhellten, leeren Innenhöfe sta n den verlassene Altäre. Während Daeman an diesen traurigen Zeugnissen der Verzweiflung vorbeieilte, erhaschte er e i nen Blick auf primitiv modellierte Pappmaschee-Statuen, die in Roben g e wandete Göttinnen, nackte Bogenschützen und bärtige Patria r chen darstellen sollten. Die Altäre waren den olympischen Gö t tern des Turin-Dramas geweiht, Athene, Apollo, Zeus und and e ren. Dieser Besänftigungsfimmel war noch vor dem Absturz hier in Paris-Krater und anderen Knoten-Gemeinschaften auf jenem Kontinent aufgekommen, den Harman, Daeman und die anderen Leser in Ardis Hall jetzt u n ter dem Namen Europa kannten.
Die Pappmaschee-Bildnisse waren in dem ewigen Regen aufg e weicht und aus der Form geraten, sodass die erneut verlass e nen Gottheiten auf den windgepeitschten Altären wie bucklige Mons t rositäten aus einer anderen Welt aussahen. Das ist ang e messener als die Anbetung der Turin-Götter, dachte Daeman. Er war auf Pro s peros Insel im Ä-Ring gewesen und hatte von dem Ruhigen g e hört. Das Ungeheuer namens Caliban hatte vor seinen drei Gefa n genen mit der Macht seines Gottes geprahlt, des vielarmigen Set e bos, bevor er Savi getötet und in die dortigen Abwassersümpfe verschleppt hatte.
Daeman war nur noch einen halben Block vom Wohnturm se i ner Mutter entfernt, als er ein Scharren hörte. Er verschmolz mit der Dunkelheit eines regenverhangenen Eingangs und legte den Sicherungshebel der Armbrust um. Daeman besaß eine der neu e ren Waffen, deren starke Sehne bei jedem Schuss zwei spitze, mit Widerhaken versehene Bolzen abfeuerte. Er hob die Waffe an die Schulter und wartete.
Nur dank der Blitze sah er das halbe Dutzend Voynixe, die e i nen halben Block entfernt in westlicher Richtung vorbeieilten. Sie gingen nicht auf der Straße, sondern liefen wie metallische Kake r laken auf den Wänden alter Steingebäude dahin, wobei sie mit ihren widerhakenbewehrten Fingerklingen und den Krallen ihrer Fußpeds Halt fanden. Zum ersten Mal hatte er Voynixe vor etwas über neun Monaten in Jerusalem so auf Wänden entlanglaufen sehen.
Er wusste inzwischen, dass die Wesen im Infrarotbereich s a hen, sodass die Dunkelheit allein ihn nicht verbergen würde, aber die Kreaturen hatten es eilig – sie hasteten in die entg e gengesetzte Richtung von Marinas Turm –, und in den drei S e kunden, die sie brauchten, um außer Sicht zu huschen, drehte keine von ihnen die Infrarotsensoren auf ihrer Brust in seine Richtung.
Mit klopfendem Herzen lief Daeman die letzten hundert M e ter, dorthin, wo sich der Wohnturm seiner Mutter über die westliche Krümmung des Kraters erhob. Der mit einer Kurbel zu bediene n de Fahrstuhlkorb stand natürlich nicht auf Str a ßenhöhe; Daeman konnte ihn undeutlich rund fünfzehn Stoc k werke weiter oben in dem gerüstartigen Schacht erkennen, auf Höhe der alten Sho p ping-Esplanade, wo die Wohnetagen b e gannen. Am unteren Ende des Fahrstuhlschachts hing ein Gl o ckenseil, mit dem ein Besucher die Turmbewohner auf seine Anwesenheit aufmerksam machen konnte, doch obwohl D a eman eine volle Minute lang daran zog, ging oben nirgends ein Licht an, und es antwortete auch niemand mit einem kurzen Gegenzug am Seil.
Daeman, der nach seinem Lauf durch die Straßen noch immer nach Luft rang, blinzelte in den Regen hinauf und erwog, zum Invalidenhotel zurückzukehren. Er würde fünfundzwanzig Stockwerke zu Fuß hinaufsteigen
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