Orangentage
kaputt gemacht, meine Magenschleimhaut ist im Eimer. Ich muss mich überwinden, etwas runterzukriegen. Guck mal, wie dünn ich geworden bin. Ich habe gar keine Muckis mehr.«
Darek musterte den Freund. Die vierzehntägige Grippe hatte Mischa tatsächlich von überschüssigen Kilos befreit. Das T-Shirt schlackerte um seinen Körper, als hätte er es von einem gröÃerem Bruder geerbt, und die rundlichen Wangen waren eingefallen. Er sah mehr denn je Hanka ähnlich und Darek wusste nicht, ob ihm diese Ãhnlichkeit angenehm war.
»Keine Angst, du kommst schon wieder in Form«, beruhigte er den Freund und schaute durchs Fenster. Sein Blick schweifte bis zu den Hortensiensträuchern und folgte dem Weg bis zum Gartentor. Ein Motorrad stand davor. Kein groÃes, aber es lieà Darek trotzdem keine Ruhe. Er musste die ganze Zeit hinschauen.
»Eine Lifan 125«, bemerkte Mischa. »Nichts Dolles.«
»Wie viel bringt sie?«
»Höchstens hundert. Und da kannst du alle Schrauben fühlen.« Mischa biss in den Schokoriegel und bewegte den Bissen mit glückseligem Gesichtsausdruck im Mund hin und her. Gleichzeitig schob er das Körbchen mit den SüÃigkeiten Darek hin. »Nimm. Wenn es alle ist, bringe ich Nachschub aus der Garage.«
Darek griff mechanisch ins Körbchen und zog die Hand leer wieder heraus. Der Blick und seine Gedanken flogen unwillkürlich immer wieder zu dem Motorrad. Es lieà sich nicht ignorieren. Es hatte eine rot-schwarze Bemalung und stand mit einer so frechen Selbstverständlichkeit am Bulisâschen Haus, dass sich in Darek alles zusammenzog. Um so eine Maschine zu besitzen, musste man finanziell gut gestellte Eltern haben. Und vor allem musste man sechzehn sein.
»Du kennst ihn?«
Obwohl Darek es möglichst gleichgültig sagte, hörte er die Anspannung in seiner Frage mitschwingen.
»Ein Jahr ist er schon hinter Hanka her«, antwortete Mischa mit vollem Mund. »Er sitzt in ihrem Zimmer und gibt an. Kilometerlange Stunden.«
»Wie heiÃt er?«
»Ich nenne ihn Schnegel. Er hat den Kopf immer voll mit Gel, bis zu den Schultern. Wahrscheinlich denkt er, dass Hanka nicht mehr von ihm loskommt, wenn sie ihn anfasst.«
» Sie fasst ihn an? « Darek zwang sich zur Ruhe, aber es gelang ihm trotzdem nicht, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. Die letzte Silbe schoss zu einem empörten Schrei hoch.
Mischa sah ihn verständnisvoll an.
»Ich kann es auch nicht verstehen. Aber Mädels ticken ganz anders als wir. Ich habe gelesen, sie haben höhere Amplituden und eine niedrigere Frequenz der Gehirnwellen.«
»Was bedeutet das?«
»Dass sie immer einem absoluten Idioten auf den Leim gehen.«
»Geht er mit Hanka in dieselbe Klasse?«
»Ich denke, er geht in die neunte oder sogar in die zehnte.«
»Vielleicht ist er ja kein Idiot«, wandte Darek ein. Er war um Objektivität bemüht, doch sie klang selbst in seinen Ohren falsch. »Oder zumindest kein absoluter.«
»Wer? Schnegel? Da kannst du Gift drauf nehmen, dass er einer ist! Ich habe gehört, wie er zu Hanka sagte: âºKomm, SüÃe, ich nehme dich mit auf einen Teufelsritt!â¹Â«
»Echt? Das hat er gesagt?«
»Wortwörtlich. Würde ein normaler Mensch so etwas von sich geben? Oder zumindest ein halber Idiot? Nein, Schnegel ist ein absoluter. Ich wette mit dir um diese Eisenbahn!« Mischa deutete mit dem Kinn auf die Modelleisenbahn auf dem Tisch. »Ich gebe alle meine Schienen und Züge und Bäumchen, Signaleinrichtungen, Schranken, sogar diese entzückende alte Plastikfrau, na, die vielleicht doch nicht, wenn sich zeigt, dass Schnegel seinen Kopf noch für etwas anderes braucht als zum Stylen!«
Er streckte die Hand aus und Darek schlug ein. Er lächelte, doch weder Mischas spöttische Bemerkungen noch die verrückte Wette schafften es, seine Panik zu mindern. Er hatte das Gefühl, Hanka entfernte sich von ihm. Er hatte schon seit zehn Tagen nicht mit ihr gesprochen. Gleich am Anfang der Ferien war sie irgendeine Tante in Prag besuchen, und als sie zurückgekommen war, konnten sie sich zwar kurz treffen, sie fing sich aber gleich darauf von Mischa die Grippe ein. Darek hing Abend für Abend vor dem Rechner und schrieb ihr, Hankas Antworten kamen jedoch unregelmäÃig und sie schienen ihm knapp und ausdruckslos. Er erklärte es sich mit
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