Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)

Kragen ihrer Fleecejacke. Sie öffnete den Reißverschluss ein kleines Stück und blies in den Ausschnitt hinein, um sich ein bisschen Kühlung zu verschaffen. Sie dampfte ja regelrecht.
    »Das Kind wurde aus dem Kinderwagen gestohlen, als Lucy Müller die Verantwortung dafür hatte. Der Täter ruft bei Lucy Müller an. Irgendwie ist dieser Teenager Mittelpunkt des Ganzen.«
    Ubbo Heide stimmte Ann Kathrin zu. »Das sehe ich auch so.«
    »Es gibt durchaus ein paar Verdachtsmomente, dass sie mit dem Entführer unter einer Decke stecken könnte. Ich vermute«, fuhr Ann Kathrin fort, »dass wir es mit einem Familiendrama zu tun haben. Das alles ist ganz nah an den Personen. Im Augenblick zählt Gundula Müllers Exmann zum Kreis der Hauptverdächtigen.«
    Es gefiel Rupert nicht, wie sehr Ann Kathrin wieder alle Fäden in der Hand hatte. Er wollte sich auch ins Gespräch bringen und dachte Ann Kathrins These schnell zu Ende: »Ist ja klar. Wenn die Tochter mit dem Vater zusammenarbeitet, kann den beiden praktisch gar nichts passieren. Sie versuchen nur, Geld aus der Situation zu schlagen. Danach wird sie vermutlich zu ihrem Daddy ziehen, und dann hat sie ihn völlig in der Hand. Was will er denn seiner halbwüchsigen Tochter noch für Vorschriften machen, wenn sie ihn jederzeit bei der Polizei anschwärzen könnte?«
    »Ist die Familie denn überhaupt für zweihunderttausend Euro gut? Hat irgendjemand von denen so viel Geld? Oder geht es hier nur darum, sie in Angst und Schrecken zu versetzen?«
    »Ich halte es auch für denkbar«, sagte Ann Kathrin, »dass der Vater damit nur Gundula Müllers neuen Mann herausfordern will. Wenn der nicht in der Lage ist, das Geld zu beschaffen oder sich querstellt, dann knackst das vielleicht die Liebe von Gundula zu ihm an …«
    Rupert wertete Ann Kathrins Theorie sofort ab: »Ja, das ist eine typisch weibliche Sichtweise, alles zu psychologisieren und dreimal um die Ecke zu denken. Bei einer Entführung geht es um Geld, um sonst gar nichts. Man schnappt sich ein unschuldiges Kind und der, der es am meisten liebt, zahlt.«
    »In dem Fall«, sagte Ann Kathrin, »ist sogar die Chance recht groß, dass wir das Kind lebend zurückbekommen. Der Täter muss keine Angst haben, später von ihm identifiziert zu werden. Er kann es irgendwo in einer Kiste abstellen, uns dann anrufen und sagen, wo, damit ist die Sache für ihn erledigt.«
    »Ja«, grinste Rupert, wenn wir ihn nicht schon bei der Übergabe schnappen.«
    Er ballte die Faust und presste sie zusammen, als hätte er eine Zitronenhälfte darin, die er über seinem Tee ausdrücken wollte.
    Ann Kathrin forderte, Wolfgang Müller rund um die Uhr überwachen zu lassen.
    »Er wird uns über kurz oder lang zu dem Kind führen. Außerdem knöpfen wir uns Lucy nochmal vor, aber bitte, Leute, alles ganz dezent. Der Täter hat gesagt keine Polizei, da wollen wir nicht die Pferde scheu machen«, sagte Ubbo Heide.
    Ann Kathrin schlug vor: »Wir sollten zu Wolfgang Müller fahren und ihn zu seinen Plänen für die Zukunft fragen. Ihm gegenüber erwähnen wir nicht, dass wir von der Lösegeldforderung wissen. Aber wenn er uns seine weiteren Urlaubs- und Reisepläne offenbart, sehen wir danach, ob er davon abweicht.«
    »Clever«, lachte Ubbo Heide und zeigte auf Ann Kathrin, sichtlich erfreut über ihren Vorschlag, der ein bisschen Bewegung ins Spiel brachte.

    Wolfgang Müller saß allein in der Ferienwohnung im Fischerweg vor dem Fernseher und starrte auf das Laufband der Breaking News bei n-tv. In Italien gab es eine Regierungskrise, in Afghanistan wurden drei ISAF-Soldaten bei einem Anschlag schwer verletzt, der Finanzminister forderte eine europäische Rating-Agentur, um nicht weiterhin von den amerikanischen abhängig zu sein, aber nichts über Tina oder die Entführung. Die eigentlich wichtigen Dinge, so fand Wolfgang Müller, kamen im Fernsehen nicht mehr vor.
    Er hatte Angela ganz schön wütend gemacht. Sie versprach sich von der Beziehung einfach zu viel. Natürlich spürte sie, dass er immer noch an Gundula hing. Auch wenn er es vor sich selber nicht zugab, es war einfach so. Ja, verdammt, er wollte sie zurückhaben.
    Er hätte diesen Thomas Schacht am liebsten in der Nordsee ertränkt. Es gab ein paar Momente mit Gundula, die würde er nie vergessen. Irgendwie maß er immer noch alles daran. Im Bett konnte sie völlig ausflippen und sich total gehen lassen. Es geschah nicht oft, aber wenn, dann war es großartig. Er erinnerte sich an