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Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Titel: Palast der Schatten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sträubte. Sie war verdammt zu stummer Ausweglosigkeit. Nie war ihr ihre Wirklichkeit so deutlich vor Augen getreten. Und diese Wirklichkeit betäubte sie. Sie versuchte nachzudenken. Doch ihre Gedanken rotierten dumpf und ausweglos im Kreis. Sie verkroch sich im Sessel. Das war das Ende ihres Traums. Noch lebte sie in Theos Wohnung, noch liebte er sie. Doch wie lang noch? In ihr brodelte die Angst, ihn ebenso schnell zu verlieren, wie sie ihn gefunden hatte.
    Den ganzen Tag blieb Carla wie gelähmt auf dem Sessel sitzen. Ihr Kopf schmerzte bis zum Platzen. Sie schwankte zwischen Weinen und ohnmächtigem Zorn über ihr Schicksal. Dann fasste sie einen Entschluss. Sie durfte Theo nicht verlieren. Noch nicht. Ich werde ihn lieben, so lang es möglich ist, werde jede Minute auskosten, in der wir noch zusammen sind, so lang, bis er mich vor die Tür setzt. Sie lachte bitter auf. Aber noch war es nicht so weit. Und sie würde es hinauszögern, bis es keinen Ausweg mehr gab, bis ihre Liebe zersplitterte wie Glas.
    Es dunkelte bereits. Sie löste sich vom Sessel, machte sich frisch, zog ihr schönstes Kleid an und schminkte sich die Lippen.
    Sie hörte Theos Schritte im Treppenhaus. In ihrem Kopf rauschte und surrte es. Sie versuchte, die dunklen Schatten zu verscheuchen. Eilig stellte sie die Gläser auf den Tisch, bemüht, weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft zu schauen. Ein Glas rutschte ihr aus der Hand, sprang klirrend auseinander. Die Scherben verteilten sich über den Boden.
    Theo trat zur Tür herein. Er nahm Carla in die Arme und drehte sie durchs Zimmer. Die Glaskristalle knirschten unter ihren Füßen.
    Â»Scherben bringen Glück!«, rief er. »Jetzt komm erst mal runter ins Kino. Ich habe noch eine Überraschung für dich.«

Das verhexte Spiegelbild
    Carlas Finger sprangen über die Tasten. Die Gartenwirtschaft. Dreiteiliger Walzer, dann das Zitat: ›Gut G’sell und du musst wandern‹. Balduins Ankunft. Das Balduin-Thema. Die Begrüßung. ›Hoch soll er leben‹. Auftritt der Lyduschka. ›Zigeunermarsch‹. Ihr Tanz. Kreisende und fallende Sechzehntelbewegung. Auftritt Scapinelli. Thema Glück. Molto tranquillo. Der Teufelspakt. Spiegelbild tritt aus dem Spiegel. Kurzes Motiv von drei Tönen. Anfangston, Sekundschritt nach unten, Quintsprung nach unten. Der Jagdunfall der Komtesse. Auf- und absteigende chromatische Sechzehntelläufe, Dreiklangarpegien und Tremoli. Der Tanzball. Schnelle, perlende Läufe. Spiegelbild tötet den Verlobten. Spiegelbild am Grabstein. Spiegelbild beim Kartenspielen. Spiegelbild auf der Brücke, vor dem Haus. Dreitönemotiv. Balduin läuft, läuft, irre vor Angst. Carlas Finger hasten über die Klaviatur. Immer schneller werden die Tempi. Balduin schießt. Ein Knall. Gelächter. Blut. Er bricht zusammen. Carla legte die Ellenbogen auf die Tasten. Ihr Kopf fiel kraftlos auf ihre Arme. Fine.

Die fliegenden Hüte
    August. Hitzewellen spiegelten sich auf den Straßen. Carla stand am offenen Fenster und sah Theo inmitten eines wogenden Meeres von Hüten stehen, mit seiner Schiebermütze auf dem Kopf, inmitten von Melonen, Zylindern, Borsalinos, Kreissägen, Wagenrädern mit Straußenfedern und Schleifen, Topfhüten, Tüchern, Helmen, Schaffnermützen, Schleierhüten. Unter den Hüten loderte der Krieg. Jubelrufe ertönten. »Hurra, es gibt Krieg!« »Endlich Krieg!« Ein paar Tausend Arme sprangen empor, die Hüte flogen immer höher, wirbelten in der Luft umher und stürzten senkrecht zu Boden. Auch Theo warf seine Mütze.
    Die Zeitungsjungen schrien sich heiser. Extrablatt, Extrablatt. Die Menschen bildeten dichte Trauben und rissen sich um die noch druckfeuchten Blätter, von denen der Wind einige über die Straße jagte. Immer dichter wurde das Gewühl. Arme reckten sich nach den Flugschriften, aufgeregtes Stimmengewirr zersägte die stickige Sommerluft.
    Â»Extrablatt, Extrablatt! Österreich-Ungarn bricht die diplomatischen Beziehungen zu Serbien ab! Extrablatt, Extrablatt!«
    Der unendliche Strom von Menschen schob sich voran. Mit lautem Getöse rauschte die Begeisterung über Straßen und Plätze, in die Gaststätten und Cafés. Aus den Kaffeehäusern schallten patriotische Lieder. Die Berauschten standen vor den Türen, schwenkten die Hüte und sangen ›Deutschland, Deutschland über

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