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Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Titel: Palast der Schatten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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gesungen und sich kaputtgelacht. Sie spielte die ersten Takte der ›Forelle‹. Ihr verging die Lust, die Melodie versiegte. Der Anblick der leeren Stuhlreihen machte sie schwermütig. Jeden Abend wartete sie auf ein Zeichen. Jeden Abend sagte Max nichts als »Gute Nacht, Carla.« Ihre Hoffnung brach zusammen. Es war nicht möglich, die Papiere fälschen zu lassen. Er wagte nur nicht, es ihr zu sagen. Mutlos klappte sie den Klavierdeckel zu.
    Max’ Bein scharrte durch den Saal. Er hinkte auf sie zu, blieb stehen.
    Â»Es ist so weit, Carla.«
    Carla ergriff seinen Arm.
    Â»Du meinst, ich bekomme wirklich die Papiere?«
    Â»Hör genau zu. Du wirst deinen alten Pass, vier neue Passbilder und den Ring am Montag, genau um 12 Uhr mittags, in den Spendenkasten der Jakobi-Kirche stecken.«
    Â»Ja, aber ja, doch der Ring, Max. Ich kann doch den Ring nicht geben, bevor ich die Papiere habe.«
    Â»Entweder du lässt dich darauf ein oder eben nicht.«
    Â»Gut, ich mach’s, wie du sagst. Wie lang wird es dauern?«
    Â»Es dauert so lang, wie es dauert. Du erhältst einen echten neuen Pass mit richtigem Stempel. Und auch die anderen Papiere werden sicher sein. Keine zerfließenden Stempel aus Aquarellfarbe und dergleichen.«
    Â»Und wie bekomme ich die Papiere?«
    Â»Das erfährst du, sobald sie fertig sind.«
    Â»Max, wie kann ich dir danken?«
    Carla versuchte, ihn zu umarmen. Max hielt sie zurück.
    Â»Gute Nacht, Carla«, sang seine traurige Stimme in das Dunkel hinein. Carla sah ihm nach, das Schaben seines Beines in den Ohren.
    Â»Theo«, flüsterte sie, »es wird alles gut, Theo, ich küsse dich tausend Mal, wo du auch bist!«

Neuester Kriegsbericht
    In aller Eile brachen sie ihr Zeltlager ab. Planen wurden zusammengelegt, Decken verstaut. Blechnäpfe klapperten. Sie schnallten ihre Rucksäcke auf, schulterten die Gewehre. Wohin es ging, wusste niemand.
    Sie marschierten, marschierten durch verkohlte Wälder, durch zerstörte Dörfer. Trümmerfelder, zerfurchte Mauerreste, zerfressene Leichen und Pferdekadaver, die der übliche Aasgeruch umgab. Sie marschierten. Die Sonne stand tief. Kilometerlang zogen sich die Soldatenschatten als lange, spitze Speere über den blutverkrusteten Erdboden. Marschierten in langen Kolonnen, schattenhaft grau, um wieder irgendwo in die Unterwelt zu kriechen, durch Gräben, Schächte, Unterstände zu robben, von Trichter zu Trichter zu springen, in den Erdlöchern dahinzuvegetieren, verdreckt, verlaust, hungrig, durstig, mit Gasmasken über ihren Gesichtern, bis sie sich erbrachen, die Masken fortwerfen mussten und ihnen nur noch die Hoffnung blieb.

    Sie tauchten unter in das Grabenlabyrinth. Der Laufgraben war mit Rosten ausgelegt, trotzdem wateten sie bis über die Knöchel im Wasser, und wenn sie in die Löcher der Roste traten, hatten sie die Stiefel voll. Sie bewegten sich ständig in gebückter Haltung, denn die Grabenböschungen waren sehr niedrig und die Feinde konnten sie von einem Flügel aus sehr gut beschießen. Einige Grabenwände waren eingestürzt. Aasgeruch der von den Vorgängern verscharrten Soldaten verbreitete sich.
    Theo watete. Der Himmel spie rote Tränen auf ihn nieder. Aus den Pfützen dampfte blutiger Rauch auf. Todeswind umflatterte ihn, blies ihm aus seiner modrigen Lunge mitten ins Gesicht. Er watete. Seine Lippen vibrierten. Er summte ein Lied. Summte. Summte. Seine Stiefel stampften durch die Nacht, durch blutigen Schlamm und über verwesende Kameraden. Er sah, wie die Wolken zerrissen, wie Sterne gleich brennenden Steinen vom Himmel fielen und erloschen, sah das bleiche Antlitz des Mondes vor sich, zerfurcht und aufgequollen vom vielen Weinen. In seinem bläulichen Kummerlicht standen die schwarzen Stümpfe der geköpften Bäume und warfen lang gezogene Todesschatten über den verkohlten Boden. ›Schön ist der Heldentod im grünen Walde‹ summte es in Theo. Watete und summte, bis sie den Graben in erster Linie erreichten.

    Theo lag im Graben. In seiner feuchtfettigen Uniform, die ihm seit sieben Wochen an den Leib geheftet war. Mit zerrissenem Futter und mit grobem Zwirn geflickten Löchern. An den Füßen die durchnässten Stiefel, in denen das Blutwasser stand, obwohl er die Knie mit Tüchern umwickelt hatte.
    Warten. Warten auf die nächste Schlacht. Warten auf den nächsten Zentimeter,

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