Pan Tau
nun aus der Mansarde, wo Martin wohnte. Die Mutter war mit der Weihnachtsbäckerei fertig und steckte eben den Truthahn in den Ofen.
Da erinnerte sie sich:
»Was ist mit dem Karpfen, Vater?«
»Nichts, Mutter«, sagte der Vater. »Ich habe nur zwei Hände. Wenn der Christbaum geschmückt ist...«
Er hatte kein Verlangen, noch einmal zu Albert zu gehen, aber insgeheim gestand er sich, daß er die Angelegenheit Albert nur hinauszögerte. Ein Heiliger Abend ohne Karpfen war ein absurder Gedanke. Außerdem taten ihm die vierzig Schilling leid, die er für den Karpfen hatte hinblättern müssen. Vierzig Schilling findet man nicht mir nichts dir nichts auf der Straße. Ich lasse das Wasser aus der Wanne, und der Fall ist erledigt, beschloß er endlich.
Der Vater hatte sich wieder beruhigt. Zufrieden betrachtete er den Christbaum. Es fehlte nur noch der Weihnachtsstern an der Spitze und der Engel mit dem Spruchband Friede den Menschen, die guten Willens sind. Er streckte den Arm aus und wollte sein Werk mit dem Stern und dem Engel krönen. Die Hand berührte die obersten Zweige. Und dann geschah es. Der Baum begann zu wachsen. Er war nun zwei Meter lang. Seine Spitze hatte sich so weit vom Fußboden entfernt, daß man sie nicht mehr mit der Hand erreichen konnte. Es war wie ein böser Traum. Der Vater schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, war der Baum drei Meter lang. Er berührte die Zimmerdecke. Und er wuchs durch sie hindurch und verschwand in Martins Mansarde. Da sagte der Vater nur noch:
»Ein Glas Wasser!«
Er trank es aus. Den Stern und den Engel mit dem Spruchband Friede den Menschen, die guten Willens sind überreichte er Renate. »Gib das Martin. Steck den Engel an das oberste Zweiglein, den Stern auf die Spitze. Es ist eine Tanne. Wir werden uns in sie teilen.« Dann bemühte sich der Vater wieder um Fassung. Aufgabe Nummer eins war erledigt. Der Christbaum war geschmückt. Langsam ging er ins Badezimmer. Er war nun entschlossen, mit Albert mannhaft zu handeln. Keine Kompromisse. Er würde ihm ins Gesicht sagen, was er von ihm hielt.
Er sagte nichts. Mit Mühe und Not konnte er gerade noch zur Seite sprinten. Durchs Vorzimmer jagte Alik. Im Maul hatte er den Truthahn. Hinter Alik jagte die Mutter her. Hinter ihr Emil. Im Zimmer klirrte etwas. Die Teller und Gläser, die auf dem festlich gedeckten Tisch standen. Jetzt rutschten sie samt Tischtuch zu Boden. Der Hund schlug einen Haken. Er stürzte zu Opa ins Zimmer. Den Truthahn ließ er fallen und sprang auf einen Stuhl und vom Stuhl auf den Tisch mit der Krippe. Bethlehem war vernichtet.
Der Vater war sich darüber im klaren, daß er jetzt handeln mußte.
Er packte Emil und den Hund und sperrte beide in die Speisekammer ein. Doch die Mutter sagte:
»Laß sie raus!« In den Augen hatte sie Tränen, in der Hand den abgenagten Truthahn. »Jetzt ist schon alles egal.«
»Jetzt schon«, gab der Vater zu. Er öffnete die Speisekammertür wieder. Die Weihnachtsglocken läuteten. In Martins Mansarde sang Jimmy Hendrix, in den Fenstern der Häuser gegenüber erstrahlten die Lichter der Christbäume. Aus dem Radio tönte es:
»Friede den Menschen auf Erden!«
»Friede für alle!«
Auch für den Karpfen Albert, dachte der Vater. Zum Abendessen öffnen wir eine Büchse mit Sardinen. Das sind auch Fische. Einfache Leute wie wir geben sich mit wenigem zufrieden. Wir brauchen auch keine Wunder. Wenn nur die Familie am Heiligen Abend beisammen...
Er stutzte. Durchs Vorzimmer schritt ein Herr mit Melone. Er trommelte leicht auf den Hut, fuhr dann mit den Fingern an der Krempe einmal nach links und einmal nach rechts. Und Emil trat aus der Speisekammer. Völlig anders sah er nun aus. Er trug seinen Sonntagsanzug. Alik-Nikolaus hatte eine rosa Schleife um den Hals. Dem Vater verschlug es die Sprache. Auch die Mutter hatte ihr Festkleid an. Als er an sich selbst hinuntersah, merkte er, daß auch er in seinem Sonntagsanzug steckte. Ja, sogar Renate kam eben im Festkleid aus Martins Mansarde. Sie sagte:
»Der Tisch ist gedeckt, Vati!«
Auf dem Tisch flackerten Kerzen. Sie beleuchteten das Weihnachtsmahl. In der Zimmerecke strahlte der Christbaum. Obgleich sich seine Spitze mit dem Stern und dem Engel in Martins Mansarde befand, war es der schönste Christbaum, den sie jemals gehabt hatten. Die Wunderkerzen sprühten. Unterm Christbaum lagen die Geschenke. Keiner staunte noch über etwas. Nur die Mutter. Als Emil nämlich über das Rennauto Lotus
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