Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
war er ein Fremder gewesen, der nicht hierhergehörte, der vor allem und jedem Angst hatte. Nun war er wieder allein, ein ehemaliger Bettler und Schlammtaucher, verloren in einer Welt, die er nicht verstand.
Er hatte darauf bestanden, die Zwillinge zu begleiten, weil er den Wunsch verspürte, von Liam Abschied zu nehmen. Doch nun, als er in Liams Kammer stand, wurde ihm klar, dass er
das nicht konnte. Er war noch lange nicht bereit dafür. Der Schmerz war noch viel zu frisch.
Kurz darauf hörte er Wellcott und Kendrick zurückkommen. Leise verließ er das Zimmer, schloss die Tür und tat so, als hätte er in seiner Kammer gewartet. Er wollte nicht, dass ihn jemand trauern sah. Das war allein seine Sache und ging niemanden etwas an.
Nachdem die Zwillinge den Rest seiner Sachen zusammengepackt hatten, brachte Wellcott ihn zu seinem neuen Zimmer. Der Wohnbereich der Leibwächter lag auf der anderen Seite des Anwesens, sodass sie das gesamte Gebäude durchqueren mussten. Schon auf dem Weg zum Gesindeflügel hatte Jackon nirgendwo die kleinste Spur des Ghulangriffs entdecken können. Während er sich von seiner Verletzung erholt hatte, hatte Lady Sarka offenbar veranlasst, dass sämtliche Schäden beseitigt wurden. Das Anwesen sah aus, als wäre nie etwas geschehen, mit einer Ausnahme: In den Fluren und auf den Galerien hielten sich viel weniger Spiegelmänner auf, denn etwa die Hälfte der stummen Wächter war bei dem Versuch, den Angriff abzuwehren, vernichtet worden. Dadurch wirkte das Anwesen noch stiller, noch verlassener als zuvor.
Während sie durch einen leer stehenden Trakt gingen, bemerkte Jackon einen beißenden Geruch, der aus einem alten Labor kam. Im Vorbeigehen spähte er durch die halb offene Tür und sah Dampfschwaden, die sich unter der Gewölbedecke sammelten. Ventile an den kupfernen Rohren und Kesseln zischten, und in dem Dunst bewegte sich eine Gestalt, deren Kopf merkwürdig deformiert war und mehrere tentakelartige Auswüchse aufwies. Jackon wich vor Schreck zurück – und begriff im nächsten Moment, dass die Gestalt lediglich eine lederne Schutzmaske mit Atemstutzen trug.
Er runzelte die Stirn. Seit wann stand ein Alchymist in Lady Sarkas Diensten?
Einige Minuten später betraten sie den Salon, in dem sich Umbra und die anderen in ihrer Freizeit aufhielten. Wellcott öffnete eine Tür und präsentierte ihm sein neues Zimmer.
Jackon war überwältigt. Vor ihm lag ein überaus geräumiger Wohnraum, den man, verglichen mit der Gesindekammer, geradezu luxuriös eingerichtet hatte. Es gab einen Schreibtisch aus dunklem Holz, einen gusseisernen Ofen, eine kleine Sitzgruppe mit drei Ohrensesseln und eine Vitrine voller kostbarer Gläser und Kelche. Hinter einem weinroten und samtbezogenen Wandschirm stand ein breites Bett, davor ein Waschzuber aus schimmerndem Messing. Der Kleiderschrank und die beiden Truhen waren offen; darin hingen und lagen seine Kleider, die die Zwillinge hergebracht hatten, sowie zahlreiche neue, darunter feine Gehröcke, Stiefel und Hüte. Ein Regal enthielt mindestens drei Dutzend in Leder gebundene Bücher, obwohl sich inzwischen herumgesprochen haben musste, dass er nicht lesen konnte. Am meisten jedoch beeindruckte ihn das aetherbetriebene Grammophon auf der Kommode. Solche sündhaft teuren Apparate besaßen normalerweise nur die reichsten der Reichen.
Wellcott gab ihm zu verstehen, dass er sich melden solle, falls er noch etwas brauchte. Nachdem der Diener gegangen war, setzte sich Jackon in einen Ohrensessel, denn der Marsch durch den Palast hatte ihn erschöpft. Ein wenig ratlos betrachtete er den Brieföffner, der auf dem Tischchen lag: versilbert, mit einem eingravierten Phönix versehen und vermutlich so viel wert wie der Wochenlohn eines Hafenarbeiters. Wer, bei der Gnade Tessarions, brauchte so etwas?
Noch vor drei Monaten war er ein bettelarmer Schlammtaucher gewesen, der wie eine Kakerlake in einem stinkenden Loch hauste – und nun das. Jackon wurde schwindelig, wenn er darüber nachdachte, wie sehr sich sein Leben seitdem verändert hatte.
Wenig später tauchte Umbra auf. »Darf ich reinkommen?«
»Klar.«
»Wir müssen ein paar Sachen besprechen. Du musst dich doch nicht schon wieder hinlegen, oder?«
»So schlecht geht’s mir auch wieder nicht.«
»Gut. Heute fangen die neuen Bediensteten an. Einen wirst du später kennen lernen. Sein Name ist Cedric. Er übernimmt Jocelyns Aufgaben und wird uns als Diener zur Verfügung stehen. «
»Ihr habt
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