Parallelgeschichten
Haut eine Erinnerung hinterließ.
Und auch ihre Stimme veränderte sich. Mich erwarten Sie mit dem Mittagessen, mich, fragte sie leise, mit weit geöffneten Augen.
Als hätten sie das große, heilige Geheimnis, die Andersheit des anderen verletzt.
Sie verstanden einander nicht, was beiden wehtat, oder vielmehr, sie mussten beide tun, als verstünden sie einander nicht. In Madzars Kopf ging endlich das Licht der peinlichen kleinen Ahnung auf, dass er vielleicht tatsächlich etwas fatal missverstand oder missverstanden hatte, auch wenn er nicht wusste, was. Es hätte keinen Sinn gehabt zu fragen, wer eigentlich wen sitzenlassen hatte. Frau Szemző blickte jedenfalls aufs Wasser hinaus, auch jetzt wie damals floss das Wasser und ließ an seiner Oberfläche die Kraft der Strömung und die Unebenheiten des Flussbetts sichtbar werden. Eigentlich war es ihre Schuld, allein ihre Schuld, rief sie sich innerlich zu. In ihrer Arbeit hatten sie sich einander gezeigt, sie war dem Mann zu nahe gekommen.
Ihre vor Selbstbezichtigung und gegenseitigem Unverständnis schmerzhaften Blicke trafen sich erneut.
Viel Zeit für diesen heimlichen Austausch hatten sie allerdings nicht, auch nicht dafür, diesem ersten öffentlichen Liebeszank einen Sinn zu geben. Als wären sie gegen ihren Willen in eine unmögliche, unverständliche Lage geraten. Aus der sie so rasch wie möglich herauskommen mussten, aber klären konnten sie nichts, denn die schwarze Dame kam seiderauschend auf sie zu, um sich zu verabschieden. Zuvor aber nahm sie Madzar das Versprechen ab, dass er am nächsten Vormittag mit ihnen zusammen skizzieren und aquarellieren würde. Der Augenblick hatte genügt, sie sah ihren Gesichtern alles an, vielleicht sogar mehr, als sie wirklich sehen konnte, ihrer gespannten Körperhaltung, in der Wirklichkeit und Möglichkeit nicht zu trennen waren. Obwohl sich doch beide um Haltung bemühten. Sie konnten ja auch nicht vergessen haben, dass ein paar Schritte entfernt der mit den Gepäckträgern beschäftigte, energische Ehemann Frau Szemzős stand, in seinem weißen Leinenanzug, und ihnen der Kinder wegen zur Eile mahnende Blicke zuwarf. Führt jetzt keine langen Reden. Zum Glück kamen die aufgeregten Jungen von den Pferden zu ihrer Mutter zurückgerannt. In ihren gleichen weißen Hemden, ihren gleichen kurzen, dunkelblauen Trägerhosen liefen die beiden auf sie zu, als seien sie von der Tatsache, dass ihre Alleinherrschaft über ihre Mutter momentan durch einen Wildfremden gefährdet war, wie von einer Tarantel gestochen. Sie hängten sich an ihren Hals, zogen sie mit ihrem ganzen Körpergewicht herunter, was hieß, sie solle zu den Pferden mitkommen, und vor allem hieß es, sie solle den Vater keine Sekunde lang verlassen. Frech und schamlos führten sie dem Fremden ihre umfassende Herrschaft vor. Madzar konnte mit eigenen Augen sehen, dass diese Frau Szemző kein unabhängiger Mensch war, sie war von ihren Söhnen gestempelt und geknebelt. Doktor Szemző hingegen konnte sie wenigstens für den Augenblick in Sicherheit wissen. Aus diesem ganzen gefühlsmäßigen und gesellschaftlichen Durcheinander schälte sich auch heraus, dass die seiderauschende, mit ihren Armreifen aus Elfenbein klappernde schwarze Dame, deren Namen Madzar weder beim ersten noch beim zweiten Mal verstanden hatte, in anderthalb Stunden bei ihnen im Korona sein würde.
Auf einen Drink, wie sie sich ausdrückte.
Bis dahin würde sich auch herausstellen, ob sie alle gemeinsam zum Mittagessen, das heißt in ein Restaurant gehen können, wie das irgendwer im Voraus schon mit irgendwem abgemacht hatte.
Aber nicht mit ihm, das alles geschah ohne ihn.
Es war wie ein zusätzlicher Eimer kalten Wassers. Jetzt aber hatte sich Madzar im Griff. Er begleitete sie höflich in der Chaise zum Hotel, zeigte den Jungen Dinge und gab dazu eifrig Erklärungen, um seinen Schmerz zu übertönen.
In der dunkel getäfelten, angenehm kühlen Hotelhalle verabschiedeten sich die Szemzős damit, dass sie nach dem Abendessen gern bei ihnen vorbeischauen würden, schon um die liebe Frau Mama kennenzulernen. Selbstverständlich ohne die Jungen, sie wollten ja nicht über Gebühr zur Last fallen.
Oh, aber keineswegs.
Das ging noch eine Weile so hin und her. Sie sollten doch eher alle zum Abendessen kommen. Die Szemzős schwankten zwischen Zusage und Ablehnung.
Und bitte sie wegen des verpassten Mittagessens entschuldigen zu lassen, bat Frau Szemző, was Madzar nicht verstand, weil er
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