Parallelgeschichten
schmuddeligen, sich dauernd kratzenden, mehr oder weniger grindigen kleinen Kindern begafft wurde.
Elemér Vay tat oft, als seien ihm die Bediensteten lästig; schon ihr Anblick schien ihm zu viel, er behandelte sie wie Luft, aber in Wahrheit hieß er ihren Eifer durchaus gut. Hinter halbgeschlossenen, fleischigen Lidern blickte er jetzt schläfrig mit fast verletzend großen Augen auf den Empfangschef hinunter, so wie zuvor, als er den Gesichtszügen des Ehepaars und der Kinder mit einem einzigen kurzen Blick angesehen hatte, dass das Israeliten waren, mit denen er in diesem muffigen Hotel unter einem Dach würde nächtigen müssen. Er hatte ihre übertriebene Zuvorkommenheit als aufdringlich empfunden, zu Recht.
Dieser auffällige Mangel an Würde, dieses Bestreben, sich anzubiedern, wie er es von den Israeliten so gut kannte. Aber seine Aufmerksamkeit auf solche törichte Episoden zu verschwenden hatte er keine Zeit. Mit dem komplexen Ritual der Vorstellung hingegen durfte er von einem gesellschaftlichen Standpunkt zufrieden sein, es war gelungen. Was in Elemér Vays Sprache bedeutete, dass ihm diese Personen genügend Ehre bezeigt hatten, allerdings nicht fehlerlos, wie denn auch, die waren doch ganz einfach nicht gesellschaftsfähig. Zuerst hatte Madzar um die Erlaubnis gebeten, ihm den Herrn Chefarzt vorstellen zu dürfen, worauf beide so frei waren, ihn der Dame vorzustellen. Man musste diese ganze Ungehobeltheit mit Großmut nehmen,
con grandezza
.
Elemér Vay hatte in den vergangenen Tagen mit dem Magistratsnotar Ritter Antal Éber, im Beisein des Untergespans des Komitats im Ruhestand, den außerordentlich delikaten und vertraulichen Plan der Erfassung des gesamten jüdischen Vermögens besprochen; so auch die rechtlichen Voraussetzungen und die Einzelheiten der Ausführung, die bei der Deportation und der wohl darauf folgenden Konfiszierung der Vermögen zu beachten sein würden. Den außergewöhnliche Umsicht erheischenden und nicht weniger abenteuerlichen Plan, der zwei Jahre zuvor ausgearbeitet worden war und den heute wieder hervorzuholen diplomatischen Anweisungen gemäß ratsam war, kannten außer ihm nur sehr wenige.
Das geheime Vorhaben lief nicht über die Verwaltung des Komitats, es würden nicht unbedingt die Verwaltungshauptsitze des Komitats mit der Vorbereitung und der Ausführung betraut werden, sondern vielmehr die wichtigsten Verkehrsknotenpunkte. Der Plan war entstanden, als aus den diplomatischen Informationsquellen verlautet hatte, dass die Deutschen die Juden nach Madagaskar deportieren würden, und da über dieselben diplomatischen Kanäle kaum ein Protest gegen diese Pläne zurücksickerte, wurde auch klar, dass die Deutschen das Stillschweigen der europäischen Mächte als Einverständnis auslegen würden.
Dem Plan gemäß sollte Ungarn in sieben Deportationsregionen aufgeteilt werden, was man als Gürtel beziehungsweise in der deutsch abgefassten Mitteilung als Zone bezeichnete. Elemér Vay hatte in den nächsten Wochen unter Wahrung allergrößter Diskretion alle sieben Zonen zu besuchen und die zur Vorbereitung notwendigen technischen und personellen Voraussetzungen der Unternehmung zu erkunden. Die zur Deportation vorgesehene jüdische Bevölkerung sollte aus den Zonen nach Mohács verbracht, dort im Frachthafen ordnungsgemäß eingeschifft und fortlaufend zum Schwarzen Meer transportiert werden.
Aus Belgrad kommend musste der Geheimrat allerdings nach Budapest zurückkehren, um Seiner Durchlaucht vom Zustand der Häfen an der unteren Donau Bericht zu erstatten, trotzdem stieg er zuerst in Mohács aus, um bei der Gelegenheit auch gleich seine hiesigen, ebenfalls dringlichen Angelegenheiten zu erledigen, das heißt die Eignung der Stadt an Ort und Stelle zu prüfen.
In der Hauptstadt einer jeden Zone musste er in der öffentlichen Verwaltung eine mit aktuellen Daten versehene, jederzeit einsetzbare, mit der politischen Polizei und der Gendarmerie in enger Verbindung stehende Sondereinheit aufbauen, die im gegebenen Augenblick das Heft in die Hand nehmen konnte. In rechtlicher Hinsicht hatte das Unterfangen ein paar Schwachpunkte. Auf den Gemeindeverwaltungen, auf den Notariaten, auf den Katasterämtern oder auch in den Kammern und Versammlungen war es nicht schwer, an zuverlässige Daten zu kommen, die standen zu einem großen Teil schon seit Jahren zur Verfügung, aber man musste auch den Zugriff auf die Buchhaltung der kleineren Privatbanken haben. Ganz zu schweigen vom
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