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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Bestand an Schmuck und Preziosen, da musste wenigstens das Volumen geschätzt werden können, damit man später Hand auf die real vorhandene Menge legen könnte. Die Aufgabe war ohne das Netzwerk der politischen Polizei gar nicht denkbar.
    Sein Auftrag lautete auf die Schaffung eines landesweiten Netzes. Mit den Vorbereitungen mussten möglichst erfahrene, über alle Zweifel erhabene Beamten betraut werden. Damit in dieser heiklen Frage keine peinlichen Missverständnisse oder fatale Irrtümer passierten, konsultierte Vay in Sachen Auswahl der Vertrauenspersonen die allmächtige Geheimorganisation, den Vereinigten Ungarischen Ritterbund.
    Er nahm ihre Anregungen fraglos auf, um sich für seine Arbeit den Rücken zu stärken.
    Aber schon bei diesem ersten und, wegen der Mohács zugedachten Rolle, vielleicht wichtigsten Zwischenhalt musste er nicht wenig entsetzt feststellen, was für eine unsäglich schwere Aufgabe er sich aufgebürdet hatte. Für die Abwicklung einer Volksverschiebung diesen Ausmaßes hätte die Stadt tatsächlich die idealen Voraussetzungen gehabt. Am Hafen standen riesige, leicht zu bewachende Lagerhäuser, da war die leere Kalkbrennerei, ein seit Jahrzehnten in Bereitschaft gehaltenes Quarantänekrankenhaus, eine noch zu Monarchiezeiten errichtete bequeme Kaserne, in der auch größere Armee-Einheiten problemlos zusammengezogen werden konnten, und vor allem Nebenlinien der Eisenbahn, die aus der Stadt zum Frachthafen führten, wo die Schwarzkohle aus Pécs auf speziell große Frachtkähne umgeladen wurde.
    Aber es war sehr schwer, den Herren verständlich zu machen, dass sie im Namen einer besseren Zukunft Schritt für Schritt mit ihm zusammenarbeiten mussten, ohne dass er sie über die Einzelheiten unterrichten konnte. Ein offenes Manneswort empfanden sie als Beleidigung. Wie ein Dolchstoß traf ihn die Erkenntnis, dass er nicht einmal mehr auf das natürliche Hierarchiegefühl der monarchistisch gesinnten Herren zählen konnte, die doch für ihre Loyalität bekannt waren. Und wenn er schon in Mohács auf solche Hindernisse stieß, womit musste er dann in den Zonen der Tiefebene rechnen, wo der örtliche Adel an Starrsinn und Eigenwilligkeit nicht zu überbieten war. Das hatte man von dem grausigen Umsichgreifen des Liberalismus und des Freidenkertums. Als wäre der zum Schutz des Ungarntums gegründete Geheimbund bereits angefressen von den krankhaften Gleichheitsideen, die er doch gerade ausmerzen sollte. Der Ungarische Ritterbund war, um es ganz offen zu sagen, vielleicht gar nicht mehr zur ritterlichen Tat bereit. Diesen entsetzlichen und möglicherweise verfrühten Gedanken behielt er für sich.
    Die weniger hochrangigen Herren waren ja selbst alle in den Zellen, Familien und Sippen des Geheimbunds tätig, wo ein beinahe freimaurerischer Wind wehte, schon deswegen verstanden sie nicht, warum Vay in einer Sache so geheimnisvoll tat, die für sie kein Geheimnis war, sondern dauernder Gegenstand ihrer geheimen Gespräche. Warum hätten sie sich während der Jahrzehnte in ihren Ämtern nicht an ihre Verfügungsgewalt gewöhnen, sich an ihr erfreuen sollen, was wollten sie auf irgendwelche Autoritätspersonen hören. Höchstens auf Seine Durchlaucht, den Reichsverweser, konnte man sich vor ihnen berufen, aber auch dann begannen sie gleich zu intrigieren, um der Aufgabe auszuweichen oder sie wenigstens zu ihrem eigenen Vorteil auszulegen.
    Das außerordentliche und besondere Umsicht erheischende Vorgehen erklärte Vay den Herren damit, dass ein bahnbrechendes Gesetz, viel schärfer als das die Aktivitäten des Juden zurückstutzende Gesetz vom Mai, in Vorbereitung sei, und der Herr Innenminister benötige aus diesem Grund dringend die geheimen Dateien. Aber auch die Zusammenstellung derselben sei lediglich die erste Phase des groß angelegten Plans, fügte er hinzu, bevor er ganz verstummte.
    Währenddessen beschlich ihn das unheimliche Gefühl, dass ihn diese Herren wegen seiner Geheimniskrämerei geradewegs als
agent provocateur
betrachten könnten.
    Der Geheimrat war zusammen mit dem Magistratsnotar und dem Untergespan in das in einiger Entfernung von der Stadt gelegene Montenuovo-Schloss geladen, wo der tief ungarisch empfindende Herzog zu seiner Ehre ein Mittagessen in kleinem Kreis gab. Es versprach angenehm zu werden, waren doch Elemér Vay und der Herzog bis in die delikatesten Fragen einer Meinung. Vay erwartete von ihm stille Unterstützung gegen die radikal-freiheitlichen Affekte der

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