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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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hiesigen Herren. Er sollte sozusagen der höheren Gewalt Stimme verleihen. Der Herzog war über alle Einzelheiten orientiert, von denen der pensionierte Untergespan und der Notar naturgemäß nichts wissen durften, und schon beim Aperitif durfte sich der Geheimrat seiner Unterstützung vergewissern.
    Nur keine Ressentiments, meine Herren, keine Ressentiments, erwiderte der Herzog auf die ersten heftigeren Worte des Untergespans streng.
    Es bedeutete, dass ein derartiger Tonfall in dieser Frage nicht gestattet war.
    Der Geheimrat warf dem Herzog über den Glasrand hinweg einen dankbaren Blick zu. Im Gegensatz zu den anderen Herren ließen sie sich bei diesem Thema zu keinerlei Gefühlswallungen hinreißen, sondern behielten einzig Einsatz und Gewinn im Auge. In Bezug auf die fremde Bevölkerung waren Gefühle fehl am Platz, ja, auch divergierende Meinungen und Ansichten. Was nicht hieß, dass sie der Effizienz nicht Rechnung trugen. Wo doch die Ungarn mit ihrer seelischen Struktur für den Judenhass nun einmal etwas empfänglicher sind als für revolutionäres Gedankengut, vor der sich die Welt ja auch mit mehr Grund zu fürchten hat, dann müssen eben Argumente und Bewegungen dazu da sein, sie vor dem gefährlicheren Bolschewismus zu schützen. Der Vertauschung von Ursache und Wirkung steht ja nichts entgegen, sie ist sogar günstig und erwünscht.
    Und wenn die Sache schon im Gang ist, wozu sich ihr dann in den Weg stellen, auch wenn es ein alter Fehler wäre, die Hatz nicht im Zaum zu halten.
    Die Judenfrage lässt sich ohne weiteres endgültig lösen, ganz nach radikalem Geschmack.
    Aber ein Pogrom allein hilft nichts, und sei er noch so gründlich, wie sich der Herzog scherzhaft auszudrücken beliebte, und es wäre töricht, dem Pöbel zu Gefallen den Deutschen in die Hände zu spielen.
    Beide betrachteten Professor Lehrs berühmte Grundthese der taktischen Anpassung gern als unanfechtbar, die besagte, dass unsere romantischen Landsleute die Tendenz hatten zu vergessen, dass die heutigen Deutschen andere Interessen verfolgten als einst die vielfach verhassten und mehrfach zurückersehnten Habsburger. Das heutige Deutschland habe längst kein Interesse mehr, das Ungarntum zu unterjochen oder zu schwächen. Es sei gestattet, daran zu erinnern, dass mit modernsten Mitteln durchgeführte erbbiologische Untersuchungen ergeben haben, dass neben den Norwegern einzig die Ungarn fähig sind, die deutsche Rasse aufzufrischen. Er zitiere da die angesehenste Fachkraft für Erbbiologie, Professor Otmar Freiherr von der Schuer. Von unserem Standpunkt sei diese wissenschaftliche Aussage natürlich inakzeptabel, aber immerhin gehe aus ihr hervor, dass das Bestehen und die Lebenskraft des Ungarntums ein elementares Interesse der Deutschen darstelle. Aber auch jenseits des egoistischen Rasseninteresses stimmten die deutschen und die ungarischen Interessen auf politischer Ebene in wesentlichen Punkten überein. Es wäre ein fataler Fehler, im Hinblick auf die Stärkung der nationalen Positionen das nicht auszunützen. Unsere Aufgabe bestehe in einer ruhigen, selbstbewussten, selbstsicheren, bestimmten und vor allem unbarmherzig höflichen Haltung gegenüber dem deutschen Element. Spiel mit, aber sei dir dessen stets bewusst, rief der Professor jeweils triumphierend auf Deutsch.
    Wir müssen jedwede Hilfe leisten, damit die Deutschen den Kampf gegen den größten gemeinsamen Feind, den Bolschewismus, aufnehmen können.
    Die taktische Anpassung erfordere zu viel Verzicht, zu große Selbstdisziplin, sagen viele. Denn wir müssen tatsächlich mitspielen, ohne je zu vergessen, was wir tun. Unsere Verantwortung besteht gerade darin, ergänzte Elemér Vay mit seinem praktischen Sinn die abstrakten Ausführungen des Gelehrten, zwischen der Zusammenarbeit und dem Widerstand das vernünftige Maß zu halten, solange das deutsche Element noch nicht in der Lage ist, seine organisatorisch groß angelegten Pläne zu verwirklichen.
    Et puis, il y a toujours la Sainte Vierge
, wie der Herzog in seiner launigen Art das Tischgespräch zu diesem Thema mehr als einmal abschloss, unter dem großen Gelächter der Herren.
    Auf Madzars Gesicht war höchstens die Röte von Dauer, sie strömte wie Flut und Ebbe über seine milchweiße Haut.
    Er verließ das Hotel mit großen Schritten, stand dann lange in der dunstigen Hitze draußen, beruhigte sich aber auch da nicht.
    Er blickte dem in einer Staubwolke verschwindenden Wagen nach und grüßte zerstreut die

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