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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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zugeben, dass das wirre Huhn, die dumme Gans oder wie immer sie die Gräfin bei sich nannte, alles andere als töricht war.
    Vor den prägnanten körperlichen Merkmalen der rohen Lebenskraft erschrecken wir Frauen eben manchmal, sagte sie verständnisvoll, als wäre sie bereit, die jüngere, wenn auch vielleicht nicht mehr ganz unberührte Frau sogar gegen ihre eigenen fatalen Gefühle zu verteidigen, aber deswegen brauchst du niemandem Vorwürfe zu machen. Ich meine, wie kannst du jemandem seine Nase übelnehmen, Liebes, jetzt sei doch nicht so kindisch.
    Eine richtige Missgestalt, rief die Gräfin, die nicht zu beruhigen war, hysterisch aus, als schöpfe sie Kraft aus ihrer familiären Prägung, um sich für ihre vorhin verletzten Gefühle zu rächen.
    Meiner Ansicht nach hat er am Körper noch weitere Missbildungen, ganz bestimmt, glaub mir, dieser Mann verheimlicht etwas.
    Und ich weiß auch was, rief sie außer sich und fast verzweifelt.
    Darüber mussten beide laut und herzlich lachen, zu ihrer gegenseitigen Zufriedenheit. Aus boshafter Kleinmädchenfreude, sie taten es ja auf Kosten eines Mannes und hinter seinem Rücken.
    Wie gemein du bist, Kleines, du weißt gar nicht, was du redest, Baronin Karla lachte, dass ihr die Tränen kamen.
    Solche kleinen Gemeinheiten verbanden sie besonders. Vor niemand anderem hätten sie sich so etwas erlaubt.
    Du weißt es nicht, so wie du bist, kannst du es wirklich nicht wissen, und während die Baronin das Schloss ihres wunderschönen Schlangenleder-Handtäschchens aufklickte, um ihr weißes Batisttaschentuch hervorzuholen und die Tränen abzutupfen, machte sie ein verworfen verträumtes Gesicht, als wolle sie doch nicht alle ihre Geheimnisse preisgeben.
    Da wären schon welche, sagten ihre Mundwinkel.
    Die lustvolle Vorstellung ließ ihre Seele erstarren. Ihr großer wissenschaftlicher Gegenspieler, von dem sie dauernd Niederlagen einstecken musste, hätte am Körper tatsächlich eine sorgfältig verborgene, peinliche Anomalie. Deretwegen er sich schon längst hätte sterilisieren lassen müssen, statt die Welt mit drei Kindern zu beglücken.
    So etwas wäre ihr nie in den Sinn gekommen.
    Er hat drei Brustwarzen. Ich werde seine Zähne zählen. Vielleicht hat er einen doppelten Hodensack.
    Und diese widerliche kleine Hexe hat das vor mir schon gespürt oder bemerkt.
    Das ist ja toll, rief sie.
    Es schickt sich natürlich nicht, von so etwas zu reden, sagte die Gräfin, die es genoss, sich vor Karla von ihrer schlechtesten Seite zu zeigen, man tut das nicht, aber es musste einfach heraus.
    Zum Glück konnte sich Karla das Profil mit dem Taschentuch verdecken, während sie die Tränen vielleicht etwas zu sorgfältig von den Wimpern und aus den Augenwinkeln tupfte.
    Im Gegenteil, erwiderte sie, bezaubert von der Offenheit der Gräfin, unsere berühmte Wissenschaft besteht ja gerade aus solchen Fragen und derartigen Verdächten. Wir sind dafür konzessioniert, Liebes, wenn ich mich so ausdrücken darf. Gott schafft die vielen Missbildungen und körperlichen Anomalien, wir sammeln sie, kategorisieren und definieren sie. Gott hat die Norm der Vollkommenheit nicht mitgeliefert, jedenfalls wissen wir nicht, ob er sie irgendwo deponiert hat. Vielleicht interessiert es dich, dass sich von der Schuer mit diesem Thema habilitiert hat, und genau in den pathologischen Fragen haben wir heftige Auseinandersetzungen. Seither bringt er diese Arbeit in jedem Fachbuch für Rassenbiologie unter, er macht sich schon lächerlich damit.
    Na, ich will dich nicht damit langweilen.
    Du kannst mir aber glauben, dass jeder Mensch mit Missbildungen geboren wird, du kannst es mit eigenen Augen sehen, wenn du genauer hinguckst.
    Alles wahre Monstren.
    So unschuldig kannst du nicht sein, dass du das nicht bemerkt hast.
    Nur wir sind vollkommen und fehlerlos, wir beide, rief die Gräfin mit schmerzlicher Wonne, denn sie verstand sehr wohl, wovon die andere redete, und in diesem Augenblick empfand sie die Baronin tatsächlich als sehr schön.
    Auch die fühlte sich mit einem Mal schlanker und jünger, trotz emotionaler Entbehrung und Schuldbewusstsein. Oh nein, wollte sie rufen, auch wir sind nicht vollkommener und fehlerloser als die anderen, zum Glück; es war ihre wissenschaftliche Überzeugung, dass die ererbte Fehlbildung wesentlicher Bestandteil der Schönheit des Menschen war, für seine Genialität geradezu unabdingbar, deshalb war sie auch gegen die Sterilisierung von fehlerhaften Individuen,

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