Parallelgeschichten
im Einzelnen erzählen könnte, was Mihály mit ihr tun würde. Solche Dinge erfuhr man aber nicht. Wie muss sich die Frau hingeben, ohne kalt, aber auch ohne frivol zu wirken. Den Bildhauer mit seinem schütteren Haar und seinen Skulpturen hatte sie unter diesem Gesichtspunkt beobachtet, diese mächtigen Männerleiber. Auch der Bildhauer glich Mihály. Was würde dieser prächtige Unbekannte mit ihr tun, wenn sie alle ihre Kleider ablegte, um ihm zu Willen zu sein. Oder müsste sie bloß das Nachthemd hochkrempeln, damit er an sie herankonnte. Sich zu fragen, was sie ihrerseits mit einem solchen Mann tun würde, kam ihr nicht in den Sinn.
Wie sollte sie ihren Gefühlen nachgeben, da sie ja noch nie einen Mann nackt gesehen hatte und auch nicht sehen wollte.
Niemanden.
Oder vielleicht Karla doch.
Wie hatte Karla das gemacht, sich hinzugeben.
Was kommt nach dem Kuss, was musste sie tun, sie wollte es wirklich wissen. Es war ja schon abstoßend genug, die Zunge, den Speichel eines anderen Menschen im Mund zu haben. Auch wenn sich Mihály als vollkommener Gentleman benommen hatte, sie zuerst nur trocken geküsst, sie vorsichtig und schonungsvoll behandelt hatte, und erst danach. Wie um sie Schritt für Schritt einzuweihen. Sie platzte fast vor Eifersucht, wenn sie daran dachte. Was hatte er da getan, es zerrte an ihr. Das war eine Demütigung, eine Schande.
Denn von irgendjemandem hatte er gelernt, was er an sie weitergab.
Oder vielleicht hatte auch er Angst vor dem, was sie dann tun würden.
Er wird es doch nicht bei liederlichen Frauen gelernt haben, aber dann darf er ihr das doch nicht beibringen.
So jung war sie doch wieder, beziehungsweise wegen ihrer tadellosen Erziehung ohne jede nützliche Erfahrung und Kenntnis, dass sie ernsthaft glauben konnte, das alles könne man sich erzählen.
Wie ein Märchen.
Sie war in der heimlichen Hoffnung gekommen, einen Menschen zu finden, mit dem sie über solche heiklen Fragen und auch sonst über alles reden konnte. Sie würde es mit Karla besprechen. Aber die Illusion verflog allmählich, sie hätte ja zuerst ihre Fragen formulieren müssen. Das ging auch nicht. Die dreieinhalb Meter großen Männerakte, die Breker für den Innenhof der Reichskanzlei geschaffen und die sie am Vortag gesehen hatte, bedrückten sie auf eine Art, dass sie nicht einmal mehr fragen mochte. So also wäre das, ein Mann, sie betrachtete den Bildhauer, der sich mit diesen einander gleichenden Männern beschäftigte und ihnen selbst glich. Dass sie ihre ganze Kindheit zwischen Ställen und Gewächshäusern verbracht hatte, machte die Sache nicht leichter, über Tierzucht und Anbau, über Fortpflanzung und Geschlechtsorgane von Tieren und Pflanzen wusste sie fast alles. Die Erbbiologie interessierte sie ernsthaft, und es schmerzte sie, dass von der Schuer ihr das nicht abnahm. Sie wollte beim Mittagessen bei sich bietender Gelegenheit zeigen, dass sie von Mendel durchaus etwas wusste. Im Atelier hatte sie sich, um nicht die monumentalen Männer anstarren zu müssen, die sich in gar nichts unterschieden, der eine die Kopie des anderen, kurz aus dem Kranz der Damen entfernt, alles erfahrene Frauen, Margret Speer, Maria von Below, Magda Goebbels, alle verheiratet. Sie fühlte sich unter ihnen verlassen und schaute sich lieber die als Brunnenfiguren vorgesehenen Pferde an, aber mit ihren gebäumten, allzu glatten Leibern waren auch die nicht gerade beruhigend, und auch sie glichen sich völlig.
Vom physischen Begehren ebenso wie vom Widerwillen angeleitet, konnte sie sich die Paarung sehr wohl vorstellen. Es war ja klar, dass die Pflanzen- und Tierwelt mit der menschlichen in einem strukturellen Zusammenhang standen, also konnte auch zwischen den Arten der Fortpflanzung kein großer Unterschied bestehen. Aber sie stellte sich dauernd zu viel vor, wo sie sich doch anstandshalber zu wenig hätte vorstellen müssen. Sie konnte ihre stürmischen Phantasien mit ihrer nach Sachlichkeit strebenden Persönlichkeit und ihrer auf Schein und Formalität aufgebauten Erziehung nicht auf einen Nenner bringen, so wie es auch schwierig war, Mihály Horthy mit einem vor Lust wiehernden Pferd zu vergleichen, ihn sich ohne seine tadellos geschnittenen Anzüge vorzustellen.
Sie blickten sich in die Augen und lächelten innig.
Das Lächeln galt ihnen selbst, traf aber unvermeidlich aufs Lächeln der anderen. Jede von ihnen legte das andere Lächeln falsch aus, aber das wussten sie nicht. Sie hatten das Gefühl, sie
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