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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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verlaufen«, sagte ich zu ihm. »Sie brauchen aber nur den Strand entlangzugehen …«
    Er wandte sich der Treppe zu, als hätte er mich gar nicht gehört.
    »Das sieht einfach aus, ist es aber nicht.«
    »Hier … Sehen Sie, wohin mein Finger zeigt? Nichts einfacher als das!« beruhigte ich ihn.
    Ich zeigte in Richtung Longnook Beach. Wenn man genau hinschaute, konnte man noch einige Sonnenschirme sehen, nicht größer als Stecknadelköpfe. Zum erstenmal verspürte ich, der sich von nichts erweichen ließ, ich, der weder den Bitten einer hübschen Badenden erlegen war noch eine Ausnahme für eine von drei Kleinkindern umringte Mutter gemacht hatte, eine gewisse Scheu, einen Eindringling zu verjagen, eine Scheu, die ich mir nicht erklären konnte. Das lag nicht an seiner Statur oder an der Angst, die Fresse poliert zu bekommen, denn er schien mir mein Verhalten nicht zu verübeln.
    »Da bin ich noch nie langgegangen«, eröffnete er mir und deutete mit dem Kinn auf Longnook Beach.
    Ich packte meinen Finger wieder ein und erinnerte ihn daran, daß es immer ein erstes Mal gibt, aber entweder redete ich zu leise, oder er war schwerhörig.
    »Allein schaffst du das nicht«, sagte er und kauerte sich plötzlich nieder.
    Er zeichnete mit einem Muschelstück einen Plan in den Sand.
    »An dieser Stelle müßte man einen Absatz hinzufügen, dann den Felsen entlang und gegenüber dem Wasser wieder zurück. Das wäre viel bequemer …«
    Ich warf einen Blick auf die Treppe, die den letzten Sonnenstrahlen entgegenstrebte und aussah wie ein Haufen gebleichter Knochen.
    »Vergiß es«, riet er mir. »Du kannst nicht die gleiche noch mal bauen … Vor einigen Jahren war das noch gut, aber wenn du dich nicht auf einen Abgrund stützen willst, dann solltest du einige Änderungen ins Auge fassen. Es vergeht kein Winter ohne Regen und Stürme. Ein Wunder, daß sie überhaupt noch steht … Hör auf mich, sonst rackerst du dich für nichts ab!«
    Sicher, unter diesem Gesichtspunkt hatte ich das Problem noch nicht gesehen, aber was er mir da vorschlug, war ein anderes Paar Schuh. Selbst wenn man zugab, daß er recht hatte, daß ich die ganze Sache noch einmal überdenken mußte, war keineswegs sicher, daß ich diese Arbeit auch hinkriegte. Dann handelte es sich nämlich nicht um eine schlichte Treppe, sondern um ein kompliziertes, heikles und langwieriges Werk, das nichts mehr mit dem zu tun hatte, was ich mir vorgestellt hatte.
    »Habe ich gesagt, daß ich mich in wer weiß was stürzen will?« stieß ich hervor und blickte ihn scharf an.
    »Ich hab Zeit«, entgegnete er.
    »Sehr gut! Die braucht man, um Preiselbeeren zu pflücken …«
    Mit diesen Worten ließ ich ihn stehen, denn mir gefiel seine Art nicht, einem etwas aufzuschwatzen. Zudem mußte ich über das Problem nachdenken, ohne jemanden hinter mir stehen zu haben. Nichts drängte mich bei dieser Entscheidung. Oli war gerade erst einige Stunden weg, und die Einöde, die sich vor mir auftat, verdiente einen Augenblick der Aufmerksamkeit. Ich hatte Angst, mich blindlings auf irgend etwas einzulassen, und die Konstruktion dieser Treppe schreckte mich inzwischen ein wenig, ich wußte noch nicht, ob ich den Mut oder die Lust dazu hatte, geschweige denn, ob ich dazu überhaupt fähig war. Wie dem auch sei, er hatte den falschen Tag erwischt, mich anzutreiben.
    Ich holte Ediths Tagebuch aus meinem Koffer. Ich legte es gut sichtbar auf den Geschirrschrank, dann machte ich mir ein Glas und ging nach draußen, um es dort zu trinken.
    Auch für das Tagebuch war es noch zu früh, beschloß ich letztlich, nachdem mir ein Frösteln die Nacht gemeldet hatte. Ich wollte mir lieber noch ein paar Tage bewilligen, bevor ich meine Nase reinsteckte. Es gut sichtbar liegenlassen, um mich daran zu gewöhnen und mich von dem unangenehmen Gefühl zu befreien, das mir der schlichte Umstand einflößte, daß es in meinem Besitz war. In dem Punkt war ich guter Hoffnung. »Oh! Das ist aber nicht gut!!« hatte ich an dem Tag meiner Ankunft mit einem Grinsen erklärt und Verwunderung geheuchelt, daß es unten in meinem Koffer lag. Ich hatte sogar – in einem Augenblick, als mich mein Elend auf die Palme brachte, als ich dieses Drecksding am liebsten mit meinen Zähnen zerfetzt hätte und es behandelte wie eine lebende Person – hinzugefügt: »Oh! Da wird sich Mama aber gar nicht freuen, hmm?! Da wird sich Mama aber fragen, wo ihr kleiner Liebling geblieben ist!!« Und dann hatte ich es auf den Boden

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